© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Richtlinienkompetenz: Der Kanzler und die Macht der Konzerne
Schröder weist den Weg
Jutta Winckler-Volz

Keine Pressekonferenz, kein Kanzler-Interview, nicht mal ein Fax. Statt dessen drei dürre Worte des Regierungssprechers: "Ein gutes Gespräch" sei es gewesen, das Schröder, Wirtschaftsminister Müller und Umwelt-Trittin mit den Spitzen der Energieversorger geführt hätten. Erfolge werden anders verkauft. Tatsächlich haben die Gespräche über die Modalitäten einer Atomausstiegs alles andere als einen Durchbruch erbracht.

In gleicher Weise gilt dies für Verhandlungen mit den Chefs der Auto-Industrie über die Entsorgung jenes Schrotts, der Jahr für Jahr hier wie andernorts anfällt. In einer Hinsicht kann sich der Regierungschef mit Regierten besonders innig verbunden fühlen; es ist dies seine überaus positive Haltung zum automobilen Individualverkehr, die ihn wie nichts sonst in die Mitte jener "Neuen Mitte" stellt, die ihm sein nach Südosten weggelobter Strippenzieher Hombach schuf. Unnachahmlich treffsicher dazu die vormalige FAZ-Feder Günter Maschke: "In drei Dingen sind die Deutschen ihrem Führer treu geblieben – in der Liebe zum Hund, im Haß auf den Raucher und in der Begeisterung für das Auto!"

Nicht grundlos steht Schröder im Ruch, ein "Automann" zu sein; als Ministerpräsident im VW-Land Niedersachsen pflegte er gleichsam familiären Umgang mit den Spitzen des Großkonzerns. Anders als seine sozialdemokratischen Amtsvorgänger Brandt und Schmidt trägt er sich gelegentlich parvenuhaft; wenn er im Frankfurter Salon am Steuer einer 250.000 Mark teuren Karosse posiert, spricht geradezu knäbische Begeisterung aus des Kanzlers Miene.

Ja, dieser Kanzler aus der Partei der Kleinen Leute mag die Nähe des ganz großen Geldes. Dem Ärger zu machen, so der offenbar gefragte Rat des britischen Premiers Blair, sei nicht nur parteipolitisch inopportun, sondern schade dem großen Ganzen. Wer’s glaubt wird selig, neoliberal oder gar Kommunitarist. Fast nichts, was sich der SPD des Jahres 1999 nicht anverwandeln ließe: Sozialdemokratie – dein Name ist Schröder. Der Kanzler mit dem herrisch dräuenden Blauauge hat sich viel vorgenommen. Am Morgen wollte er die Konflikte mit der Atomindustrie beilegen, am Nachmittag würde man sich mit den Autobauern über die Rücknahme von Altautos einigen. Auf deren Kosten. Doch aus beidem wurde nichts, denn der Bündnisgrüne Trittin, eine unterhaltsame Mischung aus Ekel Alfred und nettem Fahrradkurier, hielt auf seiner Parteilinie dagegen.

Kein Zweifel, daß der parteilose Müller und sein Gönner Schröder sich mit den Atom- und Automännern "wirtschaftsfreundlich" geeinigt hätten. Stein des Anstoßes ist eine "Richtlinie" der Brüsseler Umwelt-Kommissarin, einer Dame aus dem Agrarländchen Dänemark, welche die Autobauer ab 2003 zur kostenlosen Rücknahme ausrangierter Wagen verpflichten will. Da im Zweifelsfall Bonn/Berlin draufzahlt, fiel es den jüngst in Luxemburg versammelten Ressortchefs leicht, sich auf diesen kostenträchtigen Öko-Ukas zu einigen. Die makrobiotische Rechnung des Ministerrats wurde freilich ohne den Wirt gemacht: der kam aus Bonn, hieß Trittin, nahm seine Kollegen aus Spanien und England mit ins Boot und schon stand die EU-Sperrminorität. Gegen die Richtlinienkompetenz des Kanzlers ist eben noch kein Kraut gewachsen.

Ursprünglich wollte man im März 1999 verabschieden, verschob dann aber auf massiven Druck von Lobby und deutschem EU-Vorsitz auf den Juni. Das Bonner Wirtschaftsministerium erdachte eine "deutsche Lösung" auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Branche; sie sah eine kostenlose Rücknahme der Fahrzeuge bis zu einem Alter von zwölf Jahren vor. Bonn blieb damit isoliert. Der Verband der Automobilindustrie ließ verlauten, man sei zu einer Regelung für eine kostenlose Rücknahme bereit, wenn sie nur Fahrzeuge beträfe, die nach Inkrafttreten der Neuregelung zugelassen werden; keinesfalls dürften rückwirkend alle Fahrzeuge einbezogen werden, weil dies Milliardensummen erfordern würde, die nicht finanzierbar seien. Dabei gehen die Schätzungen über die Entsorgungskosten stark auseinander: Während die Autofabrikanten sie durchschnittlich mit 200 bis 300 Mark pro Wagen beziffern, das Wirtschaftsministerium gar mit bis zu 600 Mark, spricht das Haus Trittins von bloß 150 Mark. Der verwies gegenüber Schröder staubtrocken auf "europäische Realitäten" und daß kaum ein Nachbar Verständnis dafür habe, daß es einen Wunsch Bonns nach einer "weicheren Regelung" gebe. Wie Erfahrung lehrt, wird sich für bei dieser Sachlage selbst für die Autolobbyisten und ihren Schröder nicht mehr viel machen lassen.

Anders verhält es sich in Sachen Atomindustrie, was wohl nicht zuletzt an Trittin liegen dürfte. Ohne den grünen Mann im Bremserhäuschen hätte Müller längst in aller Stille Eckpunkte eines Ausstiegs, genauer: einer finanzneutralen Beendigung der friedlichen Nutzung atomarer Technologie zwecks Energieversorgung, erarbeitet. Das geht mit Müller, nicht den Grünen, die allenthalben schrumpfen und dennoch dabei sind, die Rolle der FDP in sämtlichen Aspekten zu spielen. Dazu gehört auch das Nervenspiel, ob man die Fünf-Prozent-Hürde nimmt und weiter mitspielen darf. Schon zieht am Wähler-Horizont die Möglichkeit auf, daß Gysis PDS sich als weiterer Anwärter auf die FDP-Rolle begründet Hoffnung machen darf. Die Grünen brauchen dringend Prestigeerfolge – was wäre da geeigneter als die Verkürzung von AKW-Laufzeiten?

Zudem macht der offene Ausgang der Gespräche die SPD-Linke mobil. Umwelt-Mann Michael Müller stellt klar: "Das ist nicht an Trittin gescheitert, auch wir wollen den baldigen Ausstieg. Wenigstens zwei AKWs sollten in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden." Hardliner Hermann Scheer plädiert gar dafür, daß die Versorger ihre steuerbegünstigten Rückstellungen in einen Fonds einfließen lassen sollten, der ausschließlich der Entsorgung des atomaren Mülls dient. Auch die Freistellung von der Haftpflicht will er den AKW-Betreibern streichen: "Energiekonsens ist Nonsens."


 
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