© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Mythos 1968: Die Auseinandersetzung um den SDS-Veteranen Bernd Rabehl verschärft sich
"Ich finde das echt zum Kotzen"
Holger Schwartz

Die Thesen des Berliner Hochschullehrers Bernd Rabehl sorgen weiter für Wirbel. Eine öffentliche Diskussion am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin geriet vorvergangenen Mittwoch mehr zu einer Art Tribunal über die einstige SDS-Größe als daß es zu einer wirklichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Positionen Rabehls kam. Vielmehr bedachten ihn seine Kollegen und ehemaligen Weggefährten mehrheitlich mit polemischen Attacken, die zum Teil so weit gingen, ihm unter Vorhaltung von "Verfolgungs- und Größenwahn" quasi die Zurechnungsfähigkeit abzusprechen und ein Ende seiner Lehrtätigkeit zu fordern. Während die anwesenden Antifas jede weitere Diskussion mit Rabehl ablehnten, kündigte der die Diskussion moderierende OSI-Dozent Wolf-Dieter Narr an, die Diskussion unter Beteiligung Rabehls in den kommenden Wochen fortführen zu wollen.

Damit setzt sich der seit Monaten schwelende Kulturkampf auf dem Campus der FU fort. Anfang Juni hatte Hajo Funke, ebenfalls Dozent am Otto-Suhr-Institut, Rabehl im Interview mit der Fachbereichszeitung des Instituts agente provocateuse "völkischen Nationalismus" und ein "paranoides Weltbild" vorgeworfen. Seine Äußerungen beziehen sich auf die in der  JUNGEN FREIHEIT abgedruckte Rede Rabehls vor der Burschenschaft Danubia Anfang Dezember vorigen Jahres. Rabehl hatte darin unter anderem den Verlust nationaler Identität beklagt sowie auf von bestimmten zugewanderten Ausländergruppen ausgehende Gefahren aufmerksam gemacht und in diesem Zusammenhang auch von Überfremdung gesprochen.

Der Tabubruch des Alt-Achtundsechzigers besteht allerdings nicht nur in der Kritik multikultureller Träumereien. Rabehl trifft die Nostalgiker der Studentenbewegung bis tief ins Mark, führt er doch ins Feld, sein Freund und Weggefährte, die Leit- und Führerfigur der 68er Bewegung, Rudi Dutschke, habe mit ihm gemeinsam eigentlich eine nationale Revolution erstrebt. Geprägt vom Volksaufstand des 17. Juni 1953, sei ihr Ziel gewesen, zu den "nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit" zurückzufinden. Das Programm einer "nationalen Befreiung" – gleichermaßen gegen die Sowjetunion wie gegen die USA gerichtet – sei im Rahmen der "Solidarität mit Vietnam" auf Deutschland übertragen worden.

Durch den Anschlag auf Dutschke, der als "Motor der Radikalopposition" ausfiel, sei das Projekt jedoch bereits in den Anfängen steckengeblieben und letztlich gescheitert. Die Niederlage der APO sah Dutschke laut Rabehl auch darin begründet, daß "nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren". In den siebziger Jahren, im Konstituierungsprozeß der Grünen, habe er daher versucht, die APO "bündnisfähig zu machen mit konservativen und nationalen Gruppen".

Boykottversuche gegen Lehrveranstaltungen

Starker Tobak für gestandene SDS-Veteranen und ihre Nachfolger. Entsprechend scharf fielen die Reaktionen aus. So distanzieren sich in der Erklärung "Nationalisten waren wir nie" auf der SDS-Website ehemalige Mitglieder des SDS von ihren früheren Mitstreitern Rabehl und dem Ex-RAFler Horst Mahler, der heute für eine nationale Sammlungsbewegung eintritt. Die Unterzeichner der Erklärung, zu denen unter anderem Michael "Bommi" Baumann, Christian Ströbele, Hajo Funke sowie Gretchen Dutschke gehören, wenden sich "gegen die Verfälschung unserer politischen Geschichte mit nationalistischen Erklärungsmustern".

Am Otto-Suhr-Institut (OSI) kursieren seitdem Flugblätter, in denen Rabehl als "Nationalist" oder "Faschist" gegeißelt, seine Rede und ihre Dokumentation durch die JUNGE FREIHEIT angeprangert werden. Studenten werden darin aufgerufen, Lehrveranstaltungen Rabehls zu boykottieren, dem Instituts- und Fachbereichsrat wird nahegelegt, ihm die Lehrbefugnis am OSI zu entziehen. Zu Boykottversuchen kam es dann auch tatsächlich. Die Seminare Rabehls schrumpften so auf ein für seine Studenten angenehmes Maß. Der Versuch, Rabehl die Lehrbefugnis zu entziehen, scheiterte jedoch vorerst. Am 17. Mai wies der Fachbereichsrat den Antrag der Fachschaftsinitiative vor allem wegen Formfehlern zurück.

Zu einer öffentlichen Diskussion der Thesen Rabehls, kam es zunächst nicht. Die ursprünglich für Mitte Mai geplante Veranstaltung, hatte der mit ihrer Organisation betraute Hajo Funke mit der Begründung platzen lassen, Rabehl habe sich in seinen "rechtsextremen Positionen nicht bewegt".

Daß es in einem derartigen Klima geistiger Inquisition beinahe zu offener Gewalt gegen Rabehl kam, kann so kaum verwundern. Bei einer Aktion OSI-interner und zur Unterstützung aus Berlin-Friedrichshain herbeigeholter Antifa-Aktivisten wurde das Hauptseminar Rabehls "Recht auf Faulheit" gesprengt. Dabei wurde versucht, Rabehl in ein mitgeführtes Stofftransparent mit der Aufschrift "Rassisten raus" einzuwickeln. Die Antifas entwendeten ihm eine Tasche mit Büchern und einen Teil der ersten Auflage seiner als Stellungnahme zum Wirbel um seine Rede gedachten Zeitschrift Anschlag. Den Anschlag hatte Rabehl zuletzt im März 1966 herausgegeben.

In seiner reaktivierten Schrift kommentiert Rabehl zunächst die Kampagne gegen seine Person. Die Sprache seiner Ankläger erinnere ihn an die der NS-Kampfblätter, so daß sich in den Flugblättern längst reproduziere, was vorgeblich mit ihnen bekämpft werden solle. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und die dahinterstehende Verschwörungstheorie karikiert er auf seine Weise: "Wie sieht nun die Anklage aus? Rabehl hat bereits 1925 mit Goebbels eine ’Querfront‘ gebildet, um Einfluß zu finden im ’sozialistischen Lager". Später paktierte er mit Carl Schmitt und Ernst Niekisch. Er nahm Beziehungen zu Antonio Gramsci und später zu Togliatti/Ercoli auf, um den Sozialismus in nationalen Farben zu beschwören. Danach war er beteiligt an Massenerschießungen in Auschwitz und Treblinka. Heute ist er mit Horst Mahler unterwegs, um eine ’nationale Front‘ zu schaffen. Er hat sich verschworen mit allen möglichen Rechtsradikalen, um nun für eine Hegemonie des rechten Denkens zu sorgen. Diese Verschwörung besitzt zeitliche und räumliche Dimensionen. Sie will die historische Legitimation der Linken zerstören und den unterschiedlichen Rechtsparteien Reputation verschaffen." Treffender ließen sich wohl kaum die diffusen Ängste und Reaktionen des Nichtbegreifenkönnens mancher Linken auf den Punkt bringen.

Gerichtsurteil gegen Unterstellungen erwirkt

Rabehl bekräftigt im folgenden die in seiner Rede vorgebrachten Positionen. Es sei es ihm darum gegangen, den "Mythos von 1968" zu thematisieren. Mit seinem Vortrag vor der Danubia habe er die Revolutionstheorie von 1968 aktualisiert und übertragen auf die Gegenwart. "Sollte damals die Revolution in Europa losgetreten werden von den Partisaneneinheiten der 3. Welt, so wirken heute die vielen Ableger des Vietcong: PKK, UCK, Taliban, GIA/FSI u.a. in Europa und übertrugen ihre Partisanenkämpfe und Konflikte auf die Gastländer. Das Scheitern der Industrialisierung an der ’Peripherie‘ bringt die Flüchtlingsströme in die Metropole, die sich hier aus religiösen und politischen Gründen nicht integrieren, sondern ihre Kämpfe fortsetzen und übertragen. Dieser Tatbestand kann als revolutionäre Potenz für die Zukunft gesehen werden oder ist Ausdruck der Zerstörung von nationaler, aber auch ziviler Integrität in Europa, vor allem wenn die Partisaneneinheiten einen politischen und religiösen Fundamentalismus vertreten, der konträr steht zu den westlichen Werten von Demokratie und Sozialismus." Diese Thesen werden Rabehl von seinen Gegnern als Rassismus vorgehalten.

Gegen einen von ihnen, seinen langjährigen Kollegen Gero Neugebauer, konnte Rabehl inzwischen ein Gerichtsurteil erwirken, das diesem bei Androhung eines Strafgeldes verbietet, zu behaupten, Rabehl rufe zu "Kriegsvorbereitungen" auf und habe mit Horst Mahler eine "nationale Sammlungsbewegung gegen Überfremdung" gegründet.

Die Legendenbildung um 1968 ist ein weiterer Kritikpunkt Rabehls. In der 68er-Nostalgie werde der Revolutionscharakter dieser Revolte geleugnet. Auf diese Weise könnten sich "alle Generationen, die irgendwie in dieses Jahr paßten, einreden, daß sie die Republik verändert hätten und überhaupt, was für tolle Hechte sie gewesen seien." Rabehl sieht hingegen die Studentenrevolte als gescheitert an. Die "nationalrevolutionären Perspektiven" hätten damals wie heute in Deutschland keine Basis finden können.

In einem Gespräch mit der Welt  vom 26. Mai äußerte Rabehl: "1968 hat nichts bewirkt und nichts ausgelöst. (…) Wir scheiterten, weil wir kein Programm hatten. Wir waren gegen das System, aber wir hatten keinen Gegenentwurf."

Selbstkritisch räumt er ein, auch die Gewalt, der Terror und die RAF seien Ergebnis des damaligen Aufbegehrens. Während Utopien früher zu einem Realitätsverlust geführt hätten, fehlten heutigen Studenten diese völlig, beklagt Rabehl. Sollte es erneut zu einem intellektuellen Aufbruch kommen, so werde dieser möglicherweise von rechts kommen, "von dort, wo die Unvollkommenheit des Menschen akzeptiert und auf das Experiment einer Perfektionierung der Gesellschaft verzichtet werde".

Den Aufruhr um den durch Horst Mahler arrangierten Abdruck seiner Rede in der JF erklärt er im Anschlag folgendermaßen: "Die JUNGE FREIHEIT ist für die Antifa-Sekten deshalb ein rotes Tuch, weil diese die Befürchtung hegen, daß nach der Entpolitisierung der Universitäten und Schulen ein Rechtsruck zu erwarten sei. Es werden Vergleiche zu Frankreich gezogen und dabei unterschlagen, daß in Frankreich stets dem linken Lager eine konservative Front gegenüberstand, die primär Einfluß nahm auf die Ausbildung der Eliten. In Deutschland hatte der Konservatismus kaum die Stabilität von einheitlicher Religion, sozialer Herkunft und institutioneller Verankerung gefunden. Der Kampf gegen die Windmühle JUNGE FREIHEIT war im Falle der Antifa-Sekten ein Kampf gegen die eigene Unfähigkeit, die theoretischen Konzeptionen vom Müll der Vergangenheit zu säubern, um der allgemeinen Entpolitisierung entgegentreten zu können. Die Faschismuskeule bildete den letzten Punkt der Identifizierung und Gemeinsamkeit."

Diese sei ein Phänomen des untergegangenen sozialistischen Weltlagers, das im linksradikalen Lebensmilieu fortdauere und als "Mobilmachung des Volkes gegen den Feind" quasireligiöse Züge trage. "Was der Satan in der christlichen Religion war, wurde (...) im Marxismus-Leninismus der ’Feind‘. Er verkörperte die Ketzerei, die Sünde, den Verrat, das feindliche Lager und seine Liquidierung war immer Genugtuung, Sieg und Beweis, daß die Geschichte auf Seiten des Sozialismus stand. Der ’Faschismus‘ wurde sehr schnell Symbol von Feindschaft überhaupt, weil alle feindlichen Bestrebungen diesem Begriff subsumiert werden konnten."

Während die seriöse Tagespresse weitgehend neutral berichtete, wurden in linken Organen Rabehls Äußerungen massiv kritisiert, lösten aber auch interne Querelen aus. Im linken Magazin Kalaschnikow fand sich zwar die bekannte Kritik an Rabehl, zugleich stellte die Zeitschrift aber auch seine in der Diskussion stehenden Texte online über das Partisan.net zur Einblicknahme zur Verfügung. Die Reaktion der Betreiber des Partisan.net folgte prompt. Nach Androhung der fristlosen Kündigung mußte die Kalaschnikow-Redaktion die eigens für sie überarbeiteten bzw. geschriebenen Texte Rabehls "Nationalrevolutionäres Denken im antiautoritären Lager der Radikalopposition zwischen 1961/1980", "Krieg und Bürgerkrieg in Europa" sowie "Der Krieg der Gutmenschen" vom Partisan.net Server löschen.

Der linke Streit ist damit jedoch nicht beendet. Die Kalaschnikow kündigte an gleicher Stelle an, die Diskussion über Rabehls Thesen inhaltlich aufnehmen zu wollen und lehnte es ausdrücklich ab, diese "mit moralisierendem Gestus zu tabuisieren".

Bei einer von Rabehl in erster Linie mit Studenten seiner Seminare veranstalteten Diskussionsrunde am 11. Juni kamen die divergierenden linken Reaktionen noch einmal exemplarisch zur Sprache. Während einige der Anwesenden – bei aller teilweise vorhandenen Kritik – die offene Diskussion mit ihrem Dozenten bzw. Kollegen suchten, kamen von anderen nur pauschale, aggressive Ablehnung, hämisches Grinsen in vermeintlicher moralischer Überlegenheit. "Ich finde das echt zum Kotzen, was hier abgeht", warf ein Vertreter dieser Fraktion Rabehl an den Kopf.

Rabehl blieb Antwort zu Konsequenzen schuldig

Die Diskussion drohte phasenweise zu eskalieren. Einem anderen Renitenten bescheinigte Rabehl, in seiner Haltung ebenso intolerant zu sein wie die Nazis. In diesem Zusammenhang bemerkte er, Deutschland sei heute als einziges Land in Europa eine "Nicht-Nation" und von Selbsthaß geprägt. Dieser Zustand sei äußerst gefährlich, da er sich eines Tages wieder ins Gegenteil verkehren könne.

In den ruhigeren Phasen der Veranstaltung erläuterte Rabehl noch einmal seine Rede und diskutierte anhand der Abhandlung "Probleme der Zuwanderung, Zuwanderung als Problem" des Bündnisgrünen Rolf Stolz und seines eigenen vor dem Kosovo-Krieg verfaßten Texts "Krieg und Bürgerkrieg in Europa" mit den Anwesenden seine Thesen. Knackpunkt der Diskussion war die Frage, welche Konsequenzen Rabehl aus seiner Analyse der von Zuwanderung ausgehenden Gefahren zieht. Er blieb die Antwort schuldig. Ihm gehe es zunächst darum, die Diskussion über diese bislang tabuisierten Themen anzuregen, eigene Schlüsse habe er bislang nicht gezogen, behauptete er schlitzohrig. Vorgefertigte Antworten will er nicht liefern. Als Pädagoge will Rabehl Erkenntnisprozesse und aus ihnen hervorgehende eigene Schlußfolgerungen niemandem abnehmen.


 
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