© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/99 02. Juli 1999 |
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Abtreibung in Amerika: Vor zehn Jahren fällte das Oberste Bundesgericht ein Grundsatzurteil US-Staaten entscheiden strenger Ronald Gläser Im Januar jeden Jahres versammeln sich in Washington D.C. Tausende von Abtreibungsgegnern aus den gesamten Vereinigten Staaten, um gegen den millionenfachen Mord an ungeborenen Kindern zu demonstrieren. Dieser "March For Life" ist eine der größten regelmäßigen Kundgebungen in Amerika. Sie findet statt am Jahrestag der Urteilsverkündung in der Angelegenheit "Roe vs. Wade", durch die das Oberste Bundesgericht der USA die Abtreibung 1973 legalisiert hat. In der Urteilsbegründung kamen die Richter zu dem Schluß, daß ein Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs vor der 12 Schwangerschaftswoche ein Eingriff in die Privatsphäre der Bürger sei. Diese Entscheidung war bahnbrechend und spektakulär, denn schließlich war Abtreibung in den Vereinigten Staaten bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich grundsätzlich verboten. Überraschend kam die Entscheidung indes nicht. Das Oberste Bundesgericht hatte seit den fünfziger Jahren einen deutlichen Schwenk nach links gemacht und viele weitere Urteile zugunsten von Minderheiten und sogenannten Bürgerrechten gefällt. Von 1933 bis 1969 hatte es nur einen einzigen republikanischen Präsidenten, Dwight D. Eisenhower, gegeben, so daß fast sämtliche Richter im Supreme Court den Demokraten nahestanden. Hinzu kam, daß das Gericht unter seinem Vorsitzenden Earl Warren eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Politik angesichts des angeblichen Stillstandes in der Innenpolitik einnahm. 1973 schließlich wurde Abtreibung für verfassungskonform erklärt. Die Einzelstaaten wurden gleichsam ermächtigt, Restriktionen für den Zeitraum ab dem vierten Schwangerschaftsmonat einzuführen. Daraufhin ist die Zahl der Abtreibungen bis Anfang der neunziger Jahre teilweise rasant angestiegen auf rund 1,2 Millionen Abtreibungen pro Jahr. Jede dritte Schwangerschaft endet seitdem mit einem Abbruch. Nach einer Phase des Entsetzens begannen verschiedene Gruppen gegen das Urteil Sturm zu laufen. Vor allem die katholische Kirche profilierte sich als vehementer Gegner der neuen Rechtsprechung. Im ganzen Land formierten sich Gruppen, deren einziges Ziel die Revision dieses Urteils der höchsten juristischen Instanz Amerikas ist. Dabei stellte sich schnell heraus, daß es eine Abschaffung der Fristenlösung nur geben würde, wenn die Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts revidiert oder wenigstens modifiziert würde. Das Oberste Bundesgericht besteht aus neun Richtern, die vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannt werden. Der Senat muß die Ernennung bestätigen, andernfalls bleibt dem Präsidenten nichts anderes übrig, als einen neuen Kandidaten zu ernennen. Während Nixons Amtszeit begannen die Republikaner damit, das Oberste Bundesgericht gezielt umzudrehen, um wieder freie Hand in der Innenpolitik zu haben. Allerdings scheiterte Nixon zunächst mit seinen ersten beiden erzkonservativen Kandidaten für das Richteramt, die vom demokratischen Senat abgelehnt wurden. Also mußte er auf gemäßigte Kandidaten zurückgreifen, die dann auch die Zustimmung des Senats fanden. Die linke Mehrheit im Supreme Court konnten aber weder Nixon noch Ford brechen. Die Hoffnungen der Abtreibungsgegner lagen seit 1980 auf Ronald Reagan, zu dessen Wahlversprechen die Ernennung konservativer Richter gehörte. Durch seine klare Haltung in der Abtreibungsfrage sicherte sich Reagan so unter anderem die Zustimmung vieler religiöser Südstaatler, die seit den achtziger Jahren zunehmend für die Republikaner stimmen. Gestärkt durch eine republikanische Mehrheit im Senat (1980 1986) bot sich so Reagan die Gelegenheit, neue, konservative Richter zu benennen: Sandra Day OConnor (1981) und Antonin Scalia (1986). Frau OConnor galt als Abtreibungsgegnerin und trat auch gegen jegliche Minderheitenprogramme ein. Sie ist die erste Frau im Supreme Court. Antonin Scalia gehört ebenfalls zum rechten Flügel der Republikaner und tritt für eine wörtliche Auslegung der Verfassung ein. William Rehnquist, der von Nixon zum Richter ernannt worden war, wurde von Ronald Reagan zum Vorsitzenden des Gerichts befördert, nachdem Warren Burger dieses Amt aufgegeben hatte. 1986 verloren die Republikaner ihre Mehrheit im Senat infolge der Iran-Contra-Affäre. Dadurch wurde es für Präsident Reagan schwieriger, neue Kandidaten durchzubringen. Als Lewis Powell aus Altersgründen von seinem Amt zurücktrat, nominiert Reagan Robert Bork. Dieser machte aus seinen politischen Ansichten keinen Hehl und vertrat seine Positionen in der Abtreibungsfrage nachdrücklich. Von linken und feministischen Organisationen wurde Bork dementsprechend offen attackiert. Die Demokraten veranstalteten eine regelrechte Schlammschlacht im Senat, die mit einem demütigenden Ergebnis von nur 42 Ja-Stimmen (von 100) endete. Auch der nächste Reagan-Kandidat, David Ginsburg, scheiterte, weil sich herausstellte, daß er in seiner Jugend Marihuana geraucht hatte. Erst der moderate Anthony Kennedy gewann die Zustimmung der neuen, linken Senatsmehrheit. Zusammen mit Rehnquist konnten die drei von Reagan ernannten Richter in dem neunköpfigen Gremium eine Mehrheit mit Byron White bilden, der noch von Kennedy ernannt worden war und 1973 gegen das Roe vs. Wade - Urteil gestimmt hatte. Zwei Jahre nach der Ernennung von Anthony Kennedy ergab sich erstmals die Gelegenheit, in der Abtreibungsfrage eine neue Grundsatzentscheidung herbeizuführen: In der Sache Webster vs. Missouri Reproductive Health Services mußte das Bundesgericht 1989 über die restriktiven Gesetze des Staates Missouri entscheiden, der die bisherige Fristenlösung erheblich einschränkte. Die Entscheidung fiel mit einer 5:4 - Stimmenmehrheit am 3. Juli 1989: Den Einzelstaaten ist es erlaubt, in staatlichen Kliniken Abtreibungen zu verbieten und es öffentlich Bediensteten zu untersagen, Hilfestellung bei Abtreibungen zu leisten. Mit diesem bahnbrechenden Urteil war eines der Hauptanliegen der Reagan-Administration erfüllt: Die Einzelstaaten konnten nunmehr eigene Gesetze gegen die Abtreibung ratifizieren, ohne daß diese vom Obersten Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt würden. In der Folge beschlossen die Parlamente in vielen der einzelnen Bundesstaaten restriktive Gesetze, so daß es eine "pure Fristenlösung" heute kaum noch gibt. Die einzelnen Einschränkungen beinhalten das Erbringen des Nachweises von Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen eines solchen Eingriffs bis hin zum Verbot der Abtreibung in staatlichen Kliniken und der finanziellen Unterstützung durch die Krankenversicherungen. Sie variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat erheblich. 1992 wäre die Abtreibung sogar beinahe vollständig abgeschafft worden. Die Präsidenten Reagan und Bush (auch er ernannte noch zwei weitere Richter) hatten den Linkstrend des Obersten Bundesgerichts gestoppt. In der Folge verstärkte sich der Trend, dem bereits Richter Robert Bork zum Opfer gefallen war: Richterkandidaten werden genau unter die Lupe genommen und auf ihre politische Korrektheit hin überprüft. Inzwischen hat sich nämlich auch eine starke Pro-Abtreibungs-Bewegung in den USA gebildet, deren Ziel die Rückeroberung des Obersten Bundesgerichts ist. 1992 bekam dies der schwarze Richterkandidat Clarence Thomas zu spüren, der von einer ehemaligen Mitarbeiterin, Anita Hill, mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung konfrontiert wurde. Die Anhörung im Senat wurde landesweit live übertragen. Die Anita-Hill-Anhörungen wurden zu einem der "theatralischsten Skandale in Washington; einem Mix von Rasse, Ambitionen, Sex, politischer Ideologie und vor allem Macht", wie der Berichterstatter David Brock meinte. Für Thomas, der von Anfang an alle Vorwürfe abstritt, war es modernes "Hightech-Lynching". Doch die Strategie der Demokraten ging nicht auf: Thomas wurde denkbar knapp im Richteramt bestätigt. Und noch heute ist diese Koalition von konservativen Richtern in Amt und Würden. Erst in der vergangenen Woche fällte das Oberste Bundesgericht ein spektakuläres Urteil, das die Rechte der Einzelstaaten gegenüber der Bundesregierung erheblich stärkt. |