© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/99 02. Juli 1999 |
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Pankraz, L. Jospin und der gute Stil beim Wirtschaften Sehr gefallen hat Pankraz ein Vortrag über "europäische Wirtschaftsstile", den Rainer Klump kürzlich vor der bayerischen Sektion des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft hielt. Klump, Müller-Armack-Schüler, Inhaber des Ludwig-Erhard-Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Uni Ulm, setzte da hinter die "klassischen" bzw. "neoklassischen" Globaltheorien ein kräftiges Fragezeichen. Es gebe gar keine globalen Wirtschaftssysteme, monierte er, weder "den" Kapitalismus noch "den" Sozialismus, es gebe nur von Zeit und Raum und kultureller Tradition abhängige Wirtschaftsformen mittlerer Reichweite und Dauer, eben "Wirtschaftsstile", und jede Wirtschaftspolitik, die das ignoriere, werde früher oder später scheitern. Ähnliches haben einstmals schon die Anhänger der "Historischen Schule" in Deutschland, die Hildebrand, List und Schmoller, gegen Adam Smith ins Feld geführt. Wenn sich dieses Denken jetzt wieder zur Geltung bringt, kann das der politischen Diskussion nur gut tun. Die konnte bisher vor lauter Globalisierungs-Gehabe kaum noch geradeaus laufen. Angeblich todsichere, zeitlose Patentrezepte wurden und werden herumgereicht, ohne Rücksicht auf Überlieferung und regionalen, historisch gewachsenen Stil. Die Wirtschaftsteilnehmer wurden dadurch eher demotiviert und entmutigt als zu frischen Taten angestachelt. Auch das sogenannte Schröder-Blair-Papier über den Weg der europäischen Sozialdemokraten "nach vorn" weist in die falsche Richtung, setzt ausschließlich auf "System", an keinem Punkt auf "Stil". Der französische Regierungschef Jospin hat das genau gespürt, als er alter Sozialist, der er ist dennoch nicht "den Sozialismus" oder "die Arbeiterklasse" als Erklärung dafür bemühte, daß sich seine Regierung den Forderungen des Papieres nicht anschließen werde, sondern ausdrücklich "unseren speziellen französischen Wirtschaftsstil". Das darf sich Kanzler Schröder hinter die Ohren schreiben. Natürlich sind "Stile" keine Ewigkeitswerte, am wenigsten im Wirtschaftsleben; ihr Spezifikum besteht ja gerade, wie Rainer Klump in dem besagten Vortrag sehr schön herausarbeitete, in der ständigen Koinzidenz mit Raum und Zeit. Es kann zum Beispiel durchaus sein, daß sich ein lange erfolgreiches Wirtschafts- und Sozialgebaren eines Tages gründlich ändern muß, damit der Sozialkörper intakt bleibe, daß etwa scharfe Einschnitte ins "soziale Netz" notwendig werden. Nur müssen die Einschnitte auf jeden Fall "stilvoll" vorgenommen werden, das heißt unter Berücksichtigung des im Schneideraum bisher Üblichen und moralisch Abgesegneten. In Deutschland gibt es eine in vielen Katastrophen bewährte Kultur des Gemeinsinns, des gemeinsamen In-die-Hände-Spuckens und momentanen Verzichtleistens. Sie ließe sich entsprechende Rhetorik und Vorbildgebung auf politischer Seite vorausgesetzt ohne weiteres auf breiter Front mobilisieren. Aber die Bonner tun genau das Gegenteil, setzen die Rhetorik eines uns völlig fremden "Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmidt) in Gang und glauben allen Ernstes, damit einen "Ruck" im Volk auslösen zu können. Dabei ist doch klar: Ein Volksheim läßt sich nicht einfach, unter Hinweis auf angeblich erfolgreichere Nachbarn, in einen Pumakäfig umwandeln. Wer so etwas versucht, hat wenig Gefühl für Stil und wird nichts verbessern. Und was für die Rhetorik gilt, gilt selbstverständlich noch mehr für das direkte Wirtschaften. Die Organisation von Arbeitsverhältnissen, der Umgang mit manchmal jahrhundertealten, ruhmreichen Standesvertretungen, die Dosierung der Modernisierungsschübe und der unumgänglichen "Freisetzungen", die diversen Formen der Kapitalbildung und der Gewinnmitnahme all dies muß Rücksicht nehmen auf den jeweiligen Wirtschaftsstil, ob nun von Unternehmerseite oder vom Staat verantwortet. Je sensibler und eleganter der Stil, sagt Klump, um so erfolgreicher und seriöser die wirtschaftliche oder soziale Operation. Pure Größe ohne Stil zahlt sich letztlich nicht aus": so könnte man die Quintessenz des Vortrages zusammenfassen. Hier liegt auch die Problematik der jüngsthin so in Mode gekommenen Großfusionen über nationale und mentale Grenzen hinweg. Fusionen, die Mitarbeiter und Kunden irritieren, verdrießen, entfremden, haben wenig Chancen auf Dauer und Erfolg, stiften keine corporate identity, fallen in Stillosigkeit. Das betrifft sogar internationale, weltweit operierende Konzerne. Wenn es ihnen nicht gelingt, eine Aura von Tradition und "Heimat" um sich herum zu erzeugen, einen unverwechselbaren Stil vorzuzeigen, werden sie über kurz oder lang in der Anonymität verschwinden, von ebenso stillosen umd temporären Gestalten aufgesogen. Entsprechende Beispiele gibt es schon. Apropos corporate identity: Man darf daran zweifeln, ob die im deutschen Wirtschaftsleben, insbesondere in den Unternehmensführungen und bei der Fortbildung, so hemmungslos eingerissene Anglisierung, besser: Pidginisierung der Geschäftssprache den Unternehmen gut bekommt. Es könnte sein, daß à la longue Monsieur Jospin und seine Franzosen recht erhalten, die keinen Anstand nehmen, ihre Sprache für einen unabdingbaren Bestandteil ihres Wirtschaftsstils zu halten und sie unter keinen Umständen irgendeiner Globalität zu opfern. Wird es je einen gesamteuropäischen Wirtschaftsstil geben? fragte Rainer Klump am Ende seines Münchner Vortrags. Die Antwort fiel zwiespältig aus. Zwar sah er "Hoffnung"; beispielsweise sei es ja im Maastricht-Vertrag gelungen, den Währungsbereich zu "entpolitisieren" und so "vor staatlichen Übergriffen zu schützen". Ob das aber halten werde? Nun, inzwischen wissen wir, daß es nicht hält. Einige Länder drehen, ihrem angestammten nationalen Stil gemäß, weiter unverdrossen an der Währungsschraube, und der Euro ist butterweich. Das war vorauszusehen. |