© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Kolumne
Streitkultur
von Klaus Motschmann

Von Zeit zu Zeit sollte an Beispiele der Verwahrlosung unserer sogenannten politischen Streitkultur erinnert werden. Dazu gehört die inzwischen weithin widerspruchslose Hinnahme der These von der Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, die jeden Vergleich und erst recht jede Gleichsetzung mit den realsozialistischen Herrschaftssystemen verbiete. Deshalb ja auch der (sachlich unzutreffende) Sprachgebrauch "Faschismus" statt "Nationalsozialismus", um keinerlei Assoziationen zu wecken.

Jüngstes Beispiel für die peinlich genaue Beachtung dieses Dogmas bieten die massiven Reaktionen der ideologischen und publizistischen Puristen auf die Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne" in Weimar, weil in dieser Ausstellung sowohl Gemälde aus der Zeit des Dritten Reiches als auch aus der Zeit der DDR zu besichtigen sein sollten.

Zunächst einmal ist der "Vergleich" unabdingbare Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Analyse. "Vergleichende Lehre der Herrschaftsformen" war einmal und ist noch ein grundlegendes Fachgebiet der Politologie und der Geschichtswissenschaft. Auch das Dogma von der "Einzigartigkeit" des Dritten Reiches ist das Ergebnis eines Vergleichs. Oder wie sind die Verfechter dieser Auffassung zu ihrem Urteil gelangt?

Nun widerspricht diese These nicht nur einem entscheidenden Grundsatz wissenschaftlicher und praktischer Politik (was bekanntlich kein beachtenswerter Einwand mehr ist), sondern einer Kernthese der Marxisten und ihrer gedankenlosen Sympathisanten: daß der Nationalsozialismus mit anderen politischen und gesellschaftlichen Systemen gleichgesetzt werden muß: nämlich mit dem Kapitalismus. Ist wirklich alles vergessen, was in der DDR und was in der Bundesrepublik seit 1945, insbesondere aber seit 1968 zu diesem Thema von maßgebenden Ideologen und Theologen, Pädagogen und Publizisten unter dem Generalthema "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen" in einer nur nach Tonnen zu messenden Literatur zur Notwendigkeit der Gleichsetzung von Faschismus und Kapitalismus dargestellt worden ist? Die Hilflosigkeit in der politischen Auseinandersetzung mit diesem Thema legt diese Vermutung nahe. Mit den üblichen Ritualen gegen "Rechts" wird der ideologisch/politischen Herausforderung auf Dauer nicht mehr zu begegnen sein. Es geht um sehr viel mehr! Es geht um die von den antifaschistischen Verfassungshütern behaupteten "faschistischen Grundstrukturen" jeder kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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