© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Fremdenfeindlich
Karl Heinzen

Zweimal wurden die saarländischen Menschen in diesem Jahrhundert zur Selbstbestimmung eingeladen, und stets haben sie sich wider alle historische Vernunft entschieden. Zuerst zogen sie 1935 eine kleine Statistenrolle im nationalsozialistischen Welteroberungsplan der Behauptung demokratischen Bürgersinnes vor und verleugneten dabei höhnisch ihre Identität, als hätte es den Versailler Vertrag und die Chance zum ästhetischen Aufstieg ins kulturelle Glacis der großen Nationen nie gegeben. Immerhin war dabei noch eine Portion Opportunismus mit im Spiel, bot doch eine freiwillige Selbstaufgabe bessere Startbedingungen als jede militärisch erzwungene, die ansonsten unausweichlich gewesen wäre.

1955 schließlich hat man sich wohl aus purem postnazistischen Trotz einer besseren europäisierten Zukunft verweigert. Das Saarland hätte prosperieren dürfen wie der luxemburgische Nachbar, es hätte vielleicht dem Europäischen Parlament neben Strasbourg und Brüssel einen dritten Sitz bieten können, es hätte sich zumindest jenes Flair der Lebensuntüchtigkeit und der Bittstellerei erspart, auf das sich heute sein Beitrag zum Wohl unseres Landes beschränkt.

Immerhin verzichtet man heute in Saarbrücken auf die nationale Schalmei, wenn es darum geht, andere Länder und den Bund zur Kasse zu bitten. Für die trutzige Wacht an der Grenze zu den Welschen mit all ihren süßlichen Verlockungen gibt es natürlich keine Zuwendungen, wohl aber für den nach all den Schrecken der Kriege verständlichen Willen, eine Brücke irgendwohin zu bauen. Wir müssen lernen, die Saarländer als denkbare Franzosen zu begreifen, deren Mittleraufgabe zwischen den beiden Nationen uns ihren Preis kostet. Nur, wenn wir sie als Fremde im eigenen Land begreifen, haben wir die Chance und zugleich die Berechtigung, mit ihnen friedlich in Europa zusammenzuleben. Der schulpolitische Vorstoß der saarländischen CDU, daß Französisch zur "zweiten Muttersprache" werden und flächendeckend bereits in Kindergärten und Grundschulen Einzug halten soll, ist vor genau diesem Hintergrund zu sehen. Niemand kann glauben, daß die Zukunft des Saarlandes in einer besseren Bildung seiner Bürger liege, und niemand kann diesen Glauben den Wählern vermitteln. Sicher gibt es auch keine Zwänge der Globalisierung, die ausgerechnet eine Kenntnis des Französischen nahelegen würden. Es gilt vielmehr, Transferzahlungen auch im 21. Jahrhundert durch schieres Anderssein zu erpressen. Erfolgversprechend ist dieses Wahlprogramm, weil es zugleich fremdenfeindlich ist: Immigranten, denen schon die Nachahmung einer Kultur Last genug ist, sollen durch eine zusätzliche Sprachbarriere abgeschreckt werden. Dieser Nachteil kann auch nicht dadurch aufgewogen werden, daß sie mit jenen Sekundärtugenden, die die CDU gleichfalls wiederbeleben will, wohl weniger Probleme haben.


 
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