© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Parteien: Richtungsstreit bei den Grünen
Schlammschlacht
Sebastian Sasse

Seit Beginn voriger Woche findet bei den Bündnisgrünen ein erbitterter Richtungsstreit über die zukünftige programmatische Ausrichtung der Partei statt. Den Anfang in dieser Diskussion setzte ein Ideenpapier einiger grüner Realpolitiker aus Bund, Ländern und Gemeinden. Die Realos sprechen sich darin für eine liberale Erneuerung der Grünen aus und hoffen, so die Rolle der FDP übernehmen zu können. Momentan gleiche die grüne Partei "einem Dachboden", auf dem alles deponiert würde, was "früher einem gut gefallen hat, aber längst ausrangiert" sei. Daher gelte es jetzt "auszumisten", um so endlich die neugewonnene Rolle als Regierungspartei wirklich übernehmen zu können, heißt es in dem Diskussionspapier "Bündnis 90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient!"

Mit diesen Appellen richtet man sich vor allem an die Generation der Alt-68er in der Partei, die immer noch die Funktionärsebene beherrschten. Diese sollten sich nicht, indem sie sich ideologisch auf den "Muff der 60er Jahre" beschränkten, um die "Früchte ihrer eigenen Erfolge" bringen. Man müsse sein Lebensgefühl endlich von der Politik trennen und dafür Sorge tragen, daß die politischen Inhalte der Partei professionell umgesetzt werden. Erst dann wären die Grünen auch wirklich für Unternehmer wählbar und damit der Zustand durchbrochen, daß man Grünen-Wähler schon "zehn Meter gegen den Wind erkennen kann".

Auf dieses Papier reagierten die linken sogenannten Fundis wenige Tage danach mit einem Gegenentwurf, den sie unter dem Titel "Raus aus der neuen Mitte. Wege zu einem klaren grünen Profil" veröffentlichten. Darin sprechen sie sich eindeutig gegen eine zunehmende Liberalisierung der grünen Inhalte aus, sondern stellen vielmehr fest, daß man nicht 16 Jahre gegen christlich-liberale Politik in dem "System Kohl" gekämpft habe, um jetzt deren wirtschaftsliberale Positionen zu übernehmen. Man dürfe nicht die Erwartungen, die "große Teile der jungen Generation" auf einen Regierungswechsel im Hinblick auf mehr "soziale Gerechtigkeit" gesetzt hätten, enttäuschen. Es stehe nun an, "16 Jahre Perspektivlosigkeit" abzulösen und den jungen Leuten "neue Perspektiven zu bieten".

Entsprechende politische Mittel für die Durchsetzung dieses Ansatzes seien zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, ein flächendeckendes Sofortprogramm für 100.000 Jugendliche zur Versorgung mit Ausbildungsplätzen, sowie eine deutliche "grüne Handschrift" bei der Konzipierung des "Bündnisses für Arbeit".

Begleitet wurde der Richtungsstreit zwischen den beiden innerparteilichen Fronten von einer Auseinandersetzung über die künftige Rolle von Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der gemeinhin als Symbolfigur für eine konsequente Anwendung der ursprünglichen Zielsetzungen der Grünen gilt. So hatte der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Oswald Metzger, den Rücktritt Trittins gefordert, da dieser als "personifizierter Bad-Guy der Regierung" die umweltpolitische Kompetenz der Bündnisgrünen in der Öffentlichkeit verspiele. Vorstandssprecherin Antje Radcke nannte Trittins Verhalten zwar fehlerhaft, nahm ihn aber insgesamt vor den Angriffen Metzgers in Schutz. Es gehe nun vielmehr darum, die Papiere intern zu diskutieren und sich öffentlich keine Schlammschlacht zu liefern.


 
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