© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Theater: Bernd Wilms verdient eine faire Chance
Erfahrener als Barlog
Hans-Jörg von Jena

Peter Radunski, Berlins gutgelaunter Kultursenator, fällt gern Entscheidungen mit Überraschungscharakter. Als umtriebiger Sheriff tummelt er sich auf der verminten hauptstädtischen Kulturszene. Und schießt dann plötzlich aus der Hüfte.

So wollte er das Orchester der Komischen Oper mit dem Berliner Sinfonie-Orchester "zusammenlegen" (der absurde Einfall scheint mittlerweile vom Tisch). So ließ er eines Tages die Katze eines "Berlin Balletts" aus dem Sack, das die Tanzensembles der drei Berliner Opernhäuser beerben, überhöhen und obendrein Geld sparen sollte (daran wird noch gebastelt). Und so wird er vielleicht in naher Zukunft für das Metropol-Theater eine Sanierungslösung präsentieren, an die zuvor niemand sonst gedacht hat.

Am meisten beschäftigen natürlich aktuelle Personalentscheidungen die Gemüter, das ist in der Kultur- nicht anders als in der "großen" Politik. Die Rollen sind klar verteilt: Der Senator hat das Vorrecht der Auswahl, aber auch den Schwarzen Peter der Verantwortung. Alle anderen dürfen meckern, und sie tun es zumeist ausführlich und mit Lust. Daß diese Situation sich um die Jahrtausendwende so häufig wieder holt, liegt an einer Berliner Besonderheit: zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, am Beginn einer neuen Epoche der "Hauptstadt-Kultur", wird ein Generationswechsel fällig.

Die bislang gefundenen Lösungen berechtigen zu Hoffnungen. Warum sollte Udo Zimmermann nicht das Niveau der Deutschen Oper hochhalten, Andreas Homoki an der Komischen Oper die Felsenstein-Tradition "realistischen" Musiktheaters nicht auf seine Weise fortsetzen? Claus Peymann dürfte am Berliner Ensemble manches Unterste zuoberst kehren, aber daran führt am traditionserstarrten Brecht-Theater ohnehin kein Weg vorbei. Mit Skepsis blickt man auf Elmar Ottenthal, der mit verringertem Etat außer dem Theater des Westens das leerstehende Haus der Freien Volksbühne attraktiv machen will. Und das Team um den jungen Thomas Ostermeier steht mit der Erneuerung der einst gloriosen Schaubühne vor einer schwierigen Aufgabe. Risiken sind jedoch unvermeidbar.

Und wo gab es, gibt es Zoff? Allein beim Deutschen Theater. Kein Zweifel, es war ungeschickt bis skandalös, wie Thomas Langhoff die erbetene begrenzte Amtsverlängerung verweigert wurde. Mit Bernd Wilms, als Intendant des Maxim-Gorki-Theaters Unter den Linden ein Mann aus nächster Nachbarschaft, hatte niemand als Nachfolger gerechnet. Muß die Entscheidung deshalb falsch sein? Wilms habe einfach nicht das Format, das Deutsche Theater zu leiten, heißt es. Schon wird gefordert, er solle von sich aus verzichten.

Aber gemach! Alles schon dagewesen. Vor fünfzig Jahren, als das Schiller-Theater aus Kriegstrümmern wiedererstand, fahndete Nachkriegs-Berlin nach einem Leiter für die wichtigste Schauspielbühne im Westteil der Stadt. Heinz Hilpert, Jürgen Fehling, der unvergessene Gustaf Gründgens waren im Gespräch. Das alles zerschlug sich. Da präsentierte der damalige hochangesehene Kultursenator Tiburtius Boleslaw Barlog vom Schloßparktheater Steglitz. Einen Vorstadt-Striese! Der sollte ein Staatstheater leiten können?

Er konnte es, wie man weiß, 21 Jahre lang, eine Epoche der deutschen Theatergeschichte. Wilms ist gewiß nicht Barlog. Er ist älter, erfahrener, professioneller als Barlog damals. Noch kennt man seine Pläne nicht. Sicher ist aber, daß er – wie schon am Maxim-Gorki-Theater – nicht selber inszenieren wird. Das tat auch Barlog nur selten. Er überließ das Feld prägenden Regisseuren wie Stroux, Lietzau oder Sellner, großen Alten wie Fritz Kortner oder talentiertem Nachwuchs. Wilms ist zuzutrauen, daß er ähnlich verfährt: große Namen (Stein, Grüber, Dorn, Bondy) an seinem Haus arbeiten läßt und außerdem Nachwuchs fördert.

In Berlin bekommt man traditionsgemäß nicht deshalb einen führenden Posten, weil man berühmt ist, sondern weil man es dank seiner Leistung zu werden hofft. Diese Chance hat, diese Chance verdient Bernd Wilms wie andere vor ihm. Der Berliner Selbstüberschätzung ins Stammbuch: das Deutsche Theater ist nicht der Nabel der Klassik-Theaterwelt, schon weil es mit 600 Plätzen dafür zu klein ist. In seinen besten Zeiten fungierte es als Gegengewicht zu den großen Häusern Berlins. Schon rächt sich der Leichtsinn, der das Schiller-Theater oder die Freie Volksbühne achselzuckend ihrem Schicksal überließ.


 
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