© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Kolumne
Deutsche Lande
von Heinrich Lummer

Deutschland ist schön. Schöner als manches andere Vaterland. Usedom hat einen mehr als 40 Kilometer langen Sandstrand. Die Alpen bieten jedem Bergsteiger fast alles, was er will. Das Grün unserer Mittelgebirge sucht man in vielen Ländern vergebens. Dazu hat Deutschland Burgen, Schlösser, Dome und schöne Städte zu bieten. Vom Alpenglühen über die Rheinromantik. Wer im Ausland war, weiß, wie schön Deutschland ist. Manchmal muß man erst in die Ferne schweifen, um zu erkennen, wie nah das Gute liegt.

Auch ohne Sonnengarantie gibt es gute Gründe, Deutschland als Urlaubsland zu sehen und immer wieder zu singen: "Kein schöner Land in dieser Zeit ..." Die Deutschen sind nach wie vor Weltmeister im Reisen. Kein Ort der Welt ist ihnen zu fern. Weder gesunkene Realeinkommen noch Terrordrohungen können sie davon abhalten, ihren Urlaub im Ausland zu verbringen. Nach Schätzungen der Bundesbank fließen auf diese Weise jährlich mehr als 75 Milliarden Mark ins Ausland.

Natürlich kann es nicht darum gehen, den Deutschen generell den Urlaub im Ausland zu vermiesen. Reisen bildet bekanntlich. Aber das gilt natürlich auch für Reisen in Deutschland. Und da gibt es gewiß noch manches zu entdecken. Mancher, der schon in Amerika und anderen fernen Ländern war, kennt weder die eigene Hauptstadt noch die nähere Heimat.So spricht schon sinnvolle Heimatkunde dafür, einen Teil des Urlaubs in der deutschen Heimat zu verbringen.

Darüber hinaus sind es gewichtige Gründe, die den Urlaub in Deutschland wertvoll werden lassen. Wenn zunächst ein nennenswerter Teil jener 75 Milliarden in Deutschland bleiben würde, dann hätte das positive Auswirkungen für Konjunktur und Arbeitsmarkt. Auch uns sollte das Hemd manchmal näher als die Jacke sein. Wenn – zweitens – Deutsche in Deutschland Urlaub machen, dann trägt das gewiß dazu bei, daß sich die verschiedenen Stämme besser kennenlernen. Die Mauer in den Köpfen, von der so oft die Rede ist, könnte dadurch niedriger werden. Wenn die Bayern in Mecklenburg den Nordlichtern begegnen, kann das nicht schaden. Und warum sollen Sachsen das Rheinland nicht kennenlernen? Man muß nicht nur die "Loreley" von Heine aus der Schule kennen, sondern vielleicht auch den gleichnamigen Felsen am Rhein in Augenschein nehmen, damit man den Handstand auf der Loreley von Kästner besser versteht. Und wenn es die Rheinländer zur Bastei zieht, ist das auch gut. Die Deutschen wären also gut beraten, einen Teil ihres Urlaubs im eigenen Lande zu verbringen. Es täte dem Land gut – und ihnen wohl auch.

 

Heinrich Lummer, ehemaliger Innensenator und Bürgermeister von Berlin, war bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordneter.


 
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