© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Augiasstall Brüssel
von Thorsten Thaler

Martin Bangemann steht mit dem Rücken zur Wand, und er steht dort zu Recht. Der Wechsel des beurlaubten EU-Kommissars zur spanischen Tefonica ist – jenseits aller rechtlichen Würdigung – moralisch schwer anfechtbar. Argumente dafür sind in den vergangenen Tagen zuhauf geliefert worden. Doch gerade diese einhellige Empörung ist es, die auch Argwohn weckt.

So ist nicht jeder Vorwurf, der jetzt gegen Bangemann persönlich erhoben wird, allein schon deshalb richtig adressiert, weil der ehemalige FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister einen scheinbar idealen "Buhmann des Monats" abgibt. Daß Bangemann beispielsweise als EU-Kommissar etwa 30.000 Mark im Monat kassierte, wie von einigen journalistischen Anklägern neidvoll festgehalten, ist für sich genommen jedenfalls ebensowenig ein Verbrechen wie die erworbenen Pensionsansprüche von rund 14.000 Mark monatlich. Die Rechtslage, auf der solche Gehälter und Pensionen in der Europäischen Union gezahlt werden, ist nicht von Bangemann geschaffen worden, und er ist beileibe nicht der einzige Nutznießer.

Nicht minder heuchlerisch sind jene Stimmen in der FDP, die fordern, Bangemann aus der Partei auszuschließen. Schließlich waren es die Liberalen selbst, die ihren Ex-Vorsitzenden 1989 in die Brüsseler Kommission "entsorgt" haben und ihn 1994 sogar für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissar nominierten. Wenn FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle heute larmoyant klagt, Bangemann habe sich "schon seit Jahren nicht mehr auf Bundesparteitagen sehen lassen", bestätigt er damit nur unfreiwillig, daß Bangemann bereits damals zu Recht der Ruch anhaftete, "lieber ein faules Genie als ein fleißiger Idiot" zu sein. Von der Verantwortung für ihre Personalentscheidung, Bangemann nicht schon 1994 noch mehr Zeit zum Segeln verschafft zu haben, können sich die Liberalen sicher nicht freistellen.

Martin Bangemann ist ganz gewiß kein Heiliger. Das sind die der Korruption bzw. Vetternwirtschaft bezichtigten und noch amtierenden EU-Kommissare Edith Cresson (Frankreich) und Monika Wulf-Mathies (Deutschland) allerdings auch nicht. Wer konsequent den Augiasstall Brüssel ausmisten will, darf sich nicht allein auf Bangemann stürzen. Daß jetzt von allen Seiten auf den schwergewichtigen FDP-Politiker eingeprügelt wird, hat er sich zwar selbst zuzuschreiben. Letztlich aber ist auch Bangemann nur ein Symptom für die Verkommenheit eines politischen Systems, das solche Fälle immer wieder hervorbringt. An Martin Bangemann ein Exempel zu statuieren, kann nur der erste Schritt sein.


 
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