© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Balkan: Nicht haftbar für die Verbrechen anderer
Kollektivschuld
Andreas Mölzer

Täglich müssen wir derzeit neue Greuelmeldungen über Schändung, Vertreibung und Massenmord im Kosovo zur Kenntnis nehmen. Jüngst hörten wir in den Medien gar von Massengräbern, in denen liquidierte Kinder aufgefunden wurden. Untaten, die in unserem scheinbar so zivilisierten Zeitalter wahrlich ihresgleichen suchen.

Unklar ist dabei, wie weit sich auch die serbische Zivilbevölkerung an diesen völkermordartigen Verbrechen gegenüber den Kosovaren beteiligt hat. Nun aber ist es eben diese serbische Zivilbevölkerung des Kosovo, die ihrerseits auf der Flucht ist. Eine halbe Million Menschen ist dem Vernehmen nach bereits mit der serbischen Armee abgezogen. Weitere Hunderttausende könnten zusätzlich von der UÇK, der kosovo-albanischen Befreiungsarmee, vertrieben werden. Überdies sind viele Kosovo-Serben nunmehr das Ziel der Blutrache, der bei den Skipetaren nach wie vor geübter Brauch ist.

Damit aber zeigt sich, daß die Serben in diesem Krieg sowohl Täter als auch Opfer sind. Und es stellt sich wieder einmal in der Geschichte unseres blutigen Jahrhunderts die Frage, ob es eine Kollektivschuld gibt. Sind die Serben aufgrund ihrer besonderen Geschichte als Volk insgesamt brutaler als ihre Nachbarn, sind sie kriegslüsterner, blutgieriger und haben sie die Verbrechen und den Krieg, für den Milosevic und sein Regime steht, kollektiv zu verantworten? Oder gilt auch für die Serben, daß Schuld nur individuell sein kann, daß Verbrechen nur von Einzelnen verantwortet werden können, und daß daher Bestrafung auch nur individuell und niemals kollektiv erfolgen kann?

Im Zuge der Kriegshandlungen der vergangenen Monate gab es in der westlichen Medienmaschinerie die Tendenz, die Serben insgesamt als Verbrechervolk zu stigmatisieren. Daher ist es nötig, deutlich zu sagen: Genausowenig wie es eine deutsche Kollektivschuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus gab, kann es heute eine serbische Kollektivschuld für die Verbrechen des Slobodan Milosevic und seiner Soldateska geben. Diese Tatsache ist allerdings in Tagen, da ein Krieg zu Ende geht, für die Verlierer meist nur bedingt gültig. Es dauert einige Zeit, bis die Propaganda-Maschinerie, die nun durch Wochen und Monate die moralische Berechtigung des Nato-Bombardements getrommelt hat und die Verbrechen der Serben auf das schärfste verurteilte, auf eine differenziertere Berichterstattung umschaltet. Dauert es doch bis heute an, daß man die Verbrechen der Deutschen in zwei Weltkriegen "aufarbeitet", sie "bewältigt" und dafür nach wie vor Sühne und Wiedergutmachung fordert, während die zweifellos auch gegebenen Kriegsverbrechen der alliierten Sieger dem historischen Vergessen anheim gegeben werden.

Das Kriegsverbrechertribunal von Den Haag hat – wenn gegenwärtig auch heillos überlastet – die mühevolle Arbeit zu leisten, das individuelle Verschulden an den Verbrechen im Kosovo aufzuarbeiten und abzuurteilen. Wenn die Völkergemeinschaft gegenwärtig sagt, es gäbe keine Wiederaufbauhilfe für Serbien, solange sich das serbische Volk nicht seines verbrecherischen Regimes entledigt hat, ist dies vernünftig und moralisch berechtigt. Jener Teil des serbischen Volkes, der individuell schuldlos an diesen Verbrechen ist, leidet somit für das Regime.

Daher wäre es die Pflicht des Westens, den Serben dabei zu helfen, Milosevic und seine Schergen loszuwerden. Ein Kriegssieger sollte doch Mittel und Wege finden, die serbischen Kriegsverbrecher dingfest zu machen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht überhaupt klüger gewesen wäre, bereits vor Ausbruch des bewaffneten Konflikts die bereits seinerzeit als potentielle Kriegsverbrecher erkennbaren Schergen rund um Slobodan Milosevic dingfest zu machen. Das monatelange Bombardement eines ganzen Landes und damit von Millionen unschuldiger Menschen hätte man sich erspart.

Insgesamt aber gilt bei der Beurteilung der Serben das, was Viktor Frankl, der große Humanist jüdisch-österreichischer Prägung, gesagt hat: Es gibt nur zwei Rassen von Menschen: Gute und schlechte. Und beiderlei Sorten findet man in allen Völkern dieser Erde.

 

Andreas Mölzer ist Berater des Landeshauptmanns (Ministerpräsident) von Kärnten, Jörg Haider, und Mitherausgeber der in Wien erscheinenden Wochenzeitung "Zur Zeit".


 
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