© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


20. Juli 1944: Wolf-Dieter Graf Yorck von Wartenburg über das Andenken des Widerstandes
"Wir brauchen keine Helden"
Karl-Peter Gerigk

Graf Yorck, Ihre Familie gehörte zum Widerstandskreis in Kreisau und war mitbeteiligt am Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Wodurch wurde Ihre Familie geprägt?

Graf Yorck: Peter Graf Yorck von Wartenburg stammt ebenso wie ich von der preußischen Adelsfamilie von York ab, die nach den Freiheitskriegen gegen Napoleon-Bonaparte in den Grafenstand gehoben wurde und in Schlesien bis 1945 ansässig war. Ich sage das deshalb, weil die preußische Herkunft und Erziehung im Elternhause von Peter Yorck in Klein Oels von entscheidender Bedeutung für sein damaliges Handeln im Kreisauer Kreis gewesen ist. Ebenso war Peter Yorck ein im christlichen Glauben tief verwurzelter Mann und lehnte wie sein älterer Bruder Paul Yorck den Nationalismus als Heilsbewegung ab.

Welche Rolle spielte das Christentum im Kreisauer Kreis insgesamt?

Graf Yorck: Für die Beurteilung der Widerstandstäter wie Helmuth von Moltke, Peter Yorck, Fritz Graf von der Schulenburg, Graf Oxküll u.a. scheint mir die Verwurzelung im Christentum von eminenter Bedeutung zu sein. Auch der Attentäter selbst, Claus Graf von Stauffenberg, war ein tiefgläubiger, katholischer Christ und hat trotzdem den Tyrannenmord als den einzig möglichen Ausweg aus dem damaligen Dilemma Deutschlands gesehen. Die Beweggründe, dem Tyrannenmord zuzustimmen, waren sicher für jeden Widerstandskämpfer persönlicher, aber vor allem tief religiöser Natur gewesen. Ein jeder hat seine persönliche Entscheidung im Angesicht des fünften Gebotes "Du sollst nicht töten" und den schrecklichen Verbrechen, die im Namen Adolf Hitlers begannen wurden, getroffen. So konnten sie auch ihren späteren eigenen Tod mit Gefaßtheit leichter hinnehmen.

Kam die demonstrative Auflehnung gegen das Regime von Adolf Hitler nicht zu spät?

Graf Yorck: Sicher war das Datum des 20. Juli 1944 eine viel zu späte Gelegenheit, Adolf Hitler zu beseitigen. Die fehlgeschlagenen Attentatsversuche zeigen jedoch, daß es offensichtlich nicht so einfach war, sich dem "Führer" anzunähern, mit dem Ziel, ihn "unschädlich" zu machen.

Was waren nach Ihrer Kenntnis die Ziele und Beweggründe Ihres Onkels und der anderen um Graf Stauffenberg?

Graf Yorck: Sie fragen nach den Beweggründen Peter Yorcks und vieler anderer Widerstandskämpfer, die ja gleichzeitig in mannigfachen Funktionen in der Wehrmacht, in der zivilen Verwaltung im deutschen Reich und in den christlichen Kirchen tätig waren. Vernehmen wir, was Peter Yorck Anfang August 1944 vor dem Richter Roland Freisler selber vorgetragen hat: "Herr Präsident! Ich habe bereits bei meiner Vernehmung angegeben, daß ich mit der Entwicklung, die die nationalsozialistische Weltanschauung genommen hatte... Freisler (unterbrechend): ... nicht einverstanden war! Sie haben, um es konkret zu sagen, ihm erklärt, in der Judenfrage passe Ihnen die Judenausrottung nicht, die nationalsozialistische Auffassung von Recht hätte Ihnen nicht gepaßt. Yorck: Das wesentliche ist, was alle diese Fragen verbindet, der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtung Gott gegenüber....". Diese Worte bedürfen keine weitere Auslegung, denn sie stellen das Testament eines Mannes dar, der weiß, wofür er am Galgen sterben wird am 8. August in Plötzensee.

Heute wird den Widerstandskämpfern des 20. Juli vorgeworfen, sie seien im Kern antidemokratisch und antisemitisch gewesen.

Graf Yorck: Sie sehen an den Aussagen Peter Yorcks vor Freisler, daß der Antisemitismusvorwurf absolut unhaltbar ist. Peter Yorck kritisiert ja insbesondere auch den totalen und undemokratischen Staat der Nationalsozialisten. Solche Vorwürfe kommen heute von einer Seite, die selbst ihre Identität mit dem Zusammenbruch des Kommunismus verloren hat und gute Traditionen, die auf Charakter und Überzeugung aufbauen, diskreditieren will. Die Vorwürfe von heute wollen vieles verkehren. Man kann behaupten, daß der Mann im Mond ein Jude sei. Wilhelm II. hat viele Juden in den Adelsstand gehoben. Wenn es zugegebenermaßen ein getrenntes religiöses Bewußtsein gab, kann jedoch nicht glaubhaft von einem Antisemitismus gesprochen werden, der zur Vernichtung und Vertreibung der Juden aufgerufen oder dies verursacht hätte. Sicherlich nicht im Bewußtsein des Christentums. Solche Vorwürfe kommen heute nicht von den Juden, sondern eher von destruktiven Anarchisten. Solche Propaganda ist lügenhaft – eine Lüge.

Und der Vorwurf an die "Verschwörer", sie seien Antidemokraten?

Graf Yorck: Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, daß es unterschiedliche demokratische Systeme gibt. Die Schweiz hat ein hohes Maß an direkter Demokratie. Auch unsere Demokratie ist uns in den Anfängen eher aufgezwungen worden. Das Grundgesetz ist bis heute durch keine Volksabstimmung legitimiert. Wir sollten uns überlegen, ob unser Grundgesetz nicht reformbedürftig ist, so sehe ich den Bedarf an mehr plebiszitären Elementen. Die Parteiendemokratie hat überhandgenommen. Wer heute in einer Partei ist und sich konform verhält, ist ein gemachter Mann. Die monopolistische Macht der Parteien ist undemokratisch, und dies stellt eine Abweichung von der ursprünglichen verfassungsmäßigen Stellung und Funktion der Parteien dar.

Können Ihr Onkel und Graf Stauffenberg heute noch ein Vorbild sein?

Graf Yorck: Ist es nicht die höchste Pflichterfüllung, dem totalitären Staat seinen Machtmißbrauch und seine Grenzen vor einem tobenden Vorsitzenden des Reichsgerichtes vor Augen zu führen? Was kann für eine Gemeinschaft verbindender sein als der Opfertod eines Menschen, der für seinen Glauben und für seine Überzeugung sein Leben hingibt? "Helden" und "Vorbilder" brauchen Menschen nur dann, wenn man befürchten muß, daß sie aus eigener Kraft oder eigenem Willen nicht "gerade gehen" können oder wollen. Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes sind so eine Gefahr für all jene, die davon ausgehen, daß die Bürger von heute Nachhilfeunterricht in der jüngsten Geschichte erhalten müssen, um die Untaten und Taten einer Epoche bewerten zu können, die jedermann mit gesundem Menschenverstand richtig zu interpretieren versteht.

Welche Bedeutung messen Sie insbesondere dem Holocaust-Mahnmal zu, das es künftig im Zentrum Berlins geben soll. Nützt oder schadet es dem Selbstbewußtsein der Deutschen?

Graf Yorck: Die Interpretationen jüngster deutscher Geschichte sollten vor allem auf sachlichen Grundlagen erfolgen und weniger emotionell vorgetragen werden. Mahnmale und Gedenkstätten können hierbei behilflich sein, nützen jedoch wenig, wenn im Herzen der Menschen weiterhin Zwiespalt gesät wird, wie aus der öffentliche Diskussion zu entnehmen ist. Geschichtsbewältigung läßt sich von oben herab nicht dekretieren. Der Deutsche Bundestag besitzt die gesetzgebende Befugnis, Mahnmale errichten zu lassen. Ebenso wichtig ist es jedoch auch, Staatsbürger heranwachsen zu lassen, die jeden neuen Versuch des Staates abwehren, die religiösen und sittlichen Verpflichtungen des Einzelnen Gott gegenüber zu untergraben. Das Bestehen auf Verfassungsgrundsätzen reicht hier nicht aus, sondern es bedarf der sittlichen Einsicht und der Glaubenskraft, um der Verbreitung des Hedonismus und damit der Auflösung der Gemeinschaft entgegenzuwirken.

Sehen Sie ein politisch motiviertes Interesse, mittels solcher Debatten zu einem Bewußtseinswandel in Deutschland zu sorgen?

Graf Yorck: Der Holocaust sollte genausowenig wie der 20. Juli zu Propagandazwecken mißbraucht werden. Diese liegen jedoch bei politisch motiviertem Handeln auf der Hand. Es sind jene zerstörerischen Interessen, die ihre eigene Bindung an die Geschichte verloren haben oder leugnen. Sie werten edle Motive um, sich selbst zu nützen, oder sie leugnen die wahre Motivation schlicht, um wieder zu zerstören, was Identität stiften kann.

Warum ist der 20. Juli gescheitert? Hätte man Hitler, auch wenn er nicht tot war, dennoch stürzen können?

Graf Yorck: Adolf Hitler war nervus rerum der Bewegung und Kriegsherr, so daß nur seine physische Eliminierung Abhilfe versprach, die jedoch 1944 keinen Sinn mehr gemacht hätte. Die Aufteilung Europas und Deutschlands auf der Konferenz von Jalta 1943 war schon beschlossene Sache. Nicht einmal die Kapitulation des Reiches hätte daran etwas ändern können. Doch bewies der 20. Juli, daß es in Deutschland Männer und Frauen gab, die ihrem Gewissen verpflichtet waren und zu sterben wußten, weil sie ihren Widerstand gegen Adolf Hitler offen kundtaten. Es ist schwierig die ehrliche Tat von Verzweifelnden begrifflich einzuordnen. Sie haben die Ehre für viele deutsche Menschen vor den unerbittlichen Invasoren gerettet, die zum Teil heute noch der Meinung sind, daß die Deutschen "Verbrechergene" besitzen.

 

Wolf-Dieter Graf Yorck von Wartenburg wurde am 17. Juli 1935 in Breslau geboren. Im Januar 1945 folgte die Vertreibung. Nach dem Exodus kam Graf Yorck mit dem Treck durch Tschechien bis nach Bayern. Dort schloß er die Schule ab und später sein Studium als Diplom-Ingenieur


 
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