© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Pankraz,
Frau Köster und das flaue Renommee der Buchhändler

Fasziniert (aber auch irgendwie abgestoßen) vertieft sich Pankraz immer in die "Wertschätzungstabellen von Berufsgruppen", die die Meinungsforschungsinstitute alljährlich veröffentlichen. Auftraggeber sind in der Regel große Versicherungsagenturen, obwohl die Versicherungsagenten bei den Umfragen jedesmal schlecht abschneiden, in der Wertschätzung tief unten stehen, noch unter den Gastwirten und nur knapp über den Häusermaklern. Es waltet da offenbar ein unabstellbares masochistisches Interesse.

Die jüngste, von Allensbach veröffentlichte Tabelle bietet einige Überraschungen. Zwar rangieren, wie in früheren Jahren, nach wie vor die Ärzte und die katholischen Pastoren unangefochten an der Spitze, gefolgt von den Uniprofessoren und den Diplomaten, aber am Tabellenende gab es ein heftiges Wechsel-die-Plätze. Die traditionellen Schlußlichter, nämlich die Journalisten, schneiden jetzt besser ab als die Politiker, und noch hinter den Politikern, als absolute Horrorsparten, finden sich die Bundeswehroffiziere – und die Buchhändler, genauer: die Buchhändlerinnen. Das ist eine wirkliche Sensation.

Ausgerechnet jene gestrengen Hüterinnen des kulturellen Erbes, die Damen mit den glatten Frisuren und dem Kneifer auf der Nase, sollen die neuen Schreckschrauben der Nation sein, noch weniger angesehen als Immobilienhaie und Bild-Zeitungsschreiber? Undenkbar! Und doch steht es da schwarz auf weiß, von Frau Köster und Frau Noelle-Neumann mit dem Siegel der Wissenschaft versehen: "Welchen Beruf schätzen die Bundesbürger am wenigsten? Den der Buchhändlerin".

Sollte es sein, daß diese Buchhändlerinnen allzu streng mit ihren Kunden umgehen, sie schurigeln und "erziehen" wollen und deshalb nicht mehr so recht in die moderne Spaßgesellschaft hineinpassen? Gerade die Liebhaber eher abseitiger, gar politisch unkorrekter Literatur haben ja so ihre Erfahrungen.

Erkundigen sie sich nach einem tabu-verdächtigen Titel, erstarrt das soeben noch einigermaßen freundliche Gesicht der Buchhändlerin zur abweisenden Maske, und ihre Stimme wird schneidend. Nein, so etwas führe man nicht, und man sei auch nicht geneigt, eine Bestellung entgegenznehmen. Beschämt verläßt der Kunde unter argwöhnischen Blicken den Laden, fühlt sich schon mit einem Bein im Zuchthaus. Nun, bei der nächsten Umfrage wird er sich dafür rächen.

Immer mehr Buchkäufe werden im Versandhandel oder per E-Mail abgewickelt, während sich in den prächtigen Buchläden der urbanen Zentren die Massenware der durch Bestsellerlisten abgesegneten Neuerscheinungen stapelt. Und für das Zustandekommen der Bestsellerlisten sind ebenfalls in erster Linie die Buchhändlerinnen verantwortlich. Sie bilden die effektivste und penetranteste Zensurinstanz Deutschlands, ein Bollwerk der Intoleranz und der verweigerten Kommunikation. Kein Wunder, daß ihr Renommee allmählich Schaden nimmt.

Interessant und typisch übrigens, daß die Klasse der Politiker, als sie von den Allensbachern tabellarisch extra noch einmal aufgefächert wurde, ein weiteres Wertschätzungs-Schlußlicht preisgab: den Gewerkschaftsfunktionär, den Gewerkschaftsführer. Der Gewerkschaftsführer ist nach den neuesten Umfragen gewissermaßen die Buchhändlerin unter den Politikern. Beiden, der Buchhändlerin wie dem Gewerkschaftsführer, traut man zur Zeit nur noch Unheil zu.

Hängt das etwa damit zusammen, daß beide zum Inbegriff des schlechthin Überflüssigen geworden sind, das nur noch darauf wartet, vom Müllmann abgeholt zu werden? Moderne Arbeitsverhältnisse entstehen ja zunehmend ohne die geringste Mitwirkung der Gewerkschaften, häufig gegen sie. Und Buchproduktion und Buchhandel ihrerseits wachsen sichtbar aus dem überkommenen Gefüge heraus, brauchen wohl demnächst nicht nur keine Buchhändlerinnen mehr, sondern auch keine Buchverleger im traditionellen Verständnis, keines der bisher üblichen Großlager, keine aufwendige Druckerei.

Zentrale Speicher- und Orientierungsstätten wandern in den elektronischen Bereich ab, Texte werden elektronisch abgelesen oder angehört, und wer unbedingt noch ein Buch über dieses und jenes haben will, der macht sich selber eines, zieht es aus dem Internet, verfertigt mit seinem eigenen Drucker Seiten von delikatem Umbruch und vorzüglicher Schriftqualität, die dann nur noch zusammengeheftet und mit einem schönen Deckel versehen werden müssen. Nicht der kleinste Vorteil dieser Art von Bucherwerb ist ihre Resistenz gegen Zensur und PC-Mentalität.

Aber vielleicht sind die Buchhändlerinnen gar nicht die Aschenputtel der Nation! Was bedeuten schon Meinungsumfragen und Wertschätzungstabellen? In der besagten Allensbach-Tabelle erscheint beispielsweise auch die wackere Zunft der Studienräte und Gymnasiallehrer in ungünstigster Beleuchtung, während ausgerechnet die Rechtsanwälte, trotzdem so viele aus dieser Sippe sich aufs innigste mit Mafia- und Rotlichtmilieu verschwistern, ausgesprochen strahlend dastehen und den evangelischen Pastoren Konkurrenz machen dürfen. Wer ist denn da befragt worden?

In dem von Pankraz bevorzugt frequentierten Buchladen waltet eine Dame, die tatsächlich Dutt und Kneifer trägt und deren Bedienung so zuvorkommend und effektiv ist, daß es die reine Freude ist. Ihre Schaufenster-Bestände sind aufs Liberalste arrangiert, das aktuelle Angebot ist keineswegs auf bloße Bestsellerware beschränkt, jede Bestellung, auch die abgelegenste und bedenklichste, wird pünktlich, wenn nicht noch am selben Nachmittag, so spätestens in der laufenden Woche erledigt. Hätten die Allensbacher Pankraz befragt, er hätte den Buchhändlerinnen spontan einen Platz noch vor Ärzten und Pastoren zugewiesen.


 
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