© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Chacous: Axel Sallowsky füllt die Salons
Neue deutsche Musik
Hans-Ulrich Pieper

Alle halten den Atem an. Ein Gast hat sich an das Piano gesetzt. Er spielt anders. Erst italienische Balladen. Dann singt er. Chacous – eine eigenartige Mischung aus Chansons und Couplets. Jetzt singt er deutsch. Kurze Balladen. Der große Saal des Grunewalder Schloßhotels füllt sich. Unter den Gästen sind auch viele Juden. Zwei, drei Balladen. Beifall. Plötzlich ein neues Lied: "Wir sind nicht schuldig". Der Text zielt auf die deutsche Gemütslage, geprägt von Scham und Schuld. Der Saal, sonst kaum frequentiert, ist voll. Es ist der 50. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung. Und der Pianist endet Strophe für Strophe: "Wir sind nicht schuldig". Fünf, sechs, sieben Strophen folgen. Ausgewogen, einfühlsam, intelligent, nicht verletzend. Schuld kann für den Sänger nur individuell, nie kollektiv sein: Wir sind nicht schuldig! Das Lied endet. Kein Beifall? Als ob alle nachdenken wollen. Einer klatscht. Der Damm ist gebrochen. Beifall. Händeschütteln. Gratulation des Hotel-Direktors. Auch die Juden klatschen. Sie spüren: wahre Gefühle wurden Wort, Ton, Musik. Der Sänger wird vorgestellt: Axel Michael Sallowsky, Galerist, Kunst- und Musikkritiker aus Hamburg.

Wer mit Axel Michael Sallowsky ausgeht, kann etwas erleben. Vor allem, wenn ihm ein Piano zur Hand ist. Der Künstler, der heute für den Springer-Sender "TV neu" bundesdeutsche Promis interviewt, gerade eben O. W. Fischer in Lugano, Mario Adorf in Rom oder Veronica Ferres in München, kommt einfach an keinem Flügel vorbei. Gelegentlich mietet er deshalb in der Hamburger Oper einen Saal, lädt seine Freunde ein und läßt alles aus sich heraus, was sich da angestaut hat: Seine Abneigung gegen Bonner und Saarbrücker Politiker ("Oskar-Song"), gegen Zeitgeist und Handy-Männer, ewige Jammerer und Frauen, die sich liften lassen. Vor der Europa-Wahl kam seine zweite CD heraus: "Wen nur soll ich heute wählen" – hört man auf den Text, weiß man, warum die öffentlichen Sender dieses Lied nicht spielten:

"Wen nur soll ich heute wählen / auf wen, mein Gott, kann man noch zählen? / Ob Mitte, liberal oder links, / sie zu wählen, ja, was bringt’s? / Sie zu wählen, ja, was bringt’s? / Immer doch nur neue Lügen ..."

Axel Sallowskys Sichtweise großer und kleiner Geschehnisse, von Persönlichkeiten, von Liebe und Leid, von Deutschen und Demokratie, von Lebensweisheiten und Lebenslust deckt sich meist mit den Erfahrungen des zustimmenden Publikums – das ist ein Grund seines Erfolges.

Die Texte, in Versform, oft mit wechselndem Rhythmus, könnten einen eigenen Gedichtband ergeben: abwechslungsreich, melodisch, einfach-einprägsam, deutsch. Poetisch und geistreich, satirisch wie gesellschaftskritisch, bissig und dennoch lebensfroh. Es sind unüberhörbare Denkanstöße, die zugleich Unterhaltung in bester deutscher Chanson-Tradition bieten. Irgendwie eine gelungene Mischung aus Rudi Schuricke, Kreisler und Max Raabe. Und vielleicht ein melodischer Brückenschlag von den "Goldenen Zwanzigern" in die deutsche Jetztzeit, die unsere Poeten und Sänger wahrscheinlich als erste verstehen. Hans-Ulrich Pieper

Die Axel-Sallowsky-CDs "Das Weinen hinter dem Lachen" und "Wen nur soll ich heute wählen" sind zu bestellen bei: AMSA-Records, Postfach 65 22 63, 22373 Hamburg, Fax 0 40 / 60 09 63 45


 
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