© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Oper: Richard Strauss’ "Daphne" an der Deutschen Oper Berlin
Natur hinter Plexiglas
Gerd Sauer

Der Intendant der Deutschen Oper Berlin, Götz Friedrich, wird im Jahr 2001 nach 20jähriger Tätigkeit an der Spitze des Hauses seinen Abschied nehmen. In dieser Zeit hat sich ein Schuldenberg aufgetürmt, der schwierig abzutragen ist, und auch künstlerisch geriet man immer mehr in die Defensive. Der regieführende Intendant hat sich kaum künstlerischen Nachwuchs herangebildet, sondern zahlreiche Opern selbst inszeniert.

Der Leipziger Komponist Udo Zimmermann, der in einem Jahrzehnt die Oper an der Pleiße zu einer der anspruchsvollsten Musiktheaterstätten Deutschlands geformt hat, dürfte Hoffnungsträger par excellence sein. Das Haus braucht dringend neue Impulse. Das einstige West-Berliner Renommierhaus muß sich gegenüber der zuschauerfreundlicheren Pracht der Lindenoper und auch gegen die Komische Oper behaupten.

Mit ihrem Chefdirigenten hat die Deutsche Oper einen Glücksgriff getan. Unter Christian Thielemann, seit einem Jahr Generalmusikdirektor, sind die deutschen Meister wieder häufiger im Repertoire vertreten. Wagner, Pfitzner und Richard Strauss haben eine Heimstatt in der Bismarckstraße.

Strauss’ selten gespielte "Daphne", eine seiner letzten Opern, läßt sich zwar in Szenen kaum realisieren, da die Musik, vor allem in der zweiten Hälfte, nur noch eine sehr statische Handlung zuläßt. Aber Strauss’ meisterhafte Umsetzung des Stoffes, der schon Vorlage für die erste Oper überhaupt (von Jacopo Peri und Jacopo Corsi, 1597) und auch für die erste deutsche Oper (Heinrich Schütz, 1627) war, sollte nicht ganz aus dem Bewußtsein entschwinden, zumal Strauss hier neben schroffen Klängen, die den unheilbringenden Eingriff in die reine Natur symbolisieren, am Ende auf graziöse Weise auch Hoffnung verbreitet.

Stefan Zweig, sein nach Hofmanns- thals Tod eingesprungener Librettist, war unter den Bedingungen des NS-Regimes nicht mehr zu beschäftigen. Joseph Gregor nahm sich dann der Aufgabe an. Der langjährige Leiter des Wiener Theatermuseums schuf in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten eine Oper, die durchaus Apollo, der Daphne verführt hat, eine Schuld zuschreibt, die allerdings eine Läuterung alsbald nach sich zieht. Das Naturkind Daphne lehnt ihren langjährigen Verehrer Leukippos ab, weil er ihr dann doch zu stürmisch ist. Dem Gott Apollo dagegen gelingt es schon leichter, sie zu begeistern. Jungmädchen-Zweifel bleiben zurück, schließlich sorgen dann Papa Peneios und Mama Gaea dafür, daß die arme Daphne schließlich doch ihrem Leukippos zugeführt wird. Aber der Trank, den sie ihr dazu gereicht haben, kann nicht verhindern, daß die Libido doch irgendwann ins Schwanken kommt. Apollo schaudert ob solcher Intrigen. Er tötet Leukippos, und erst Daphnes Verzweiflung bringt ihn auf den rechten göttlichen Weg. Leukippos darf sich zukünftig in ewigen Gefilden wohlfühlen, und Daphne wird zu dem, was schon ihr Name symbolisiert, zum Lorbeerbaum.

Gregors symbolhaltiges Libretto und Strauss’ mitunter verklärt wirkende Musik machen die Oper des damals 73jährigen Komponisten zu einem späten Meisterwerk.

Anthony Pilavachi hat sich der Schwierigkeiten, auf Sentimentalitäten ausweichen zu müssen, sanft entledigt. Eine stringent erzählte Liebeshandlung hat er auf die Bühne gebracht, der Dieter Richters artifizielles Bühnenbild dienlich ist. Allein die doch stets besungene Natur wird nur in Miniaturform zugelassen. Als Baum ist da lediglich ein Bonsai, der in einer Plexiglaskiste ruht. Da solche Stoffe offenbar nie so ganz ohne zeitgemäße Neuerungen darstellbar sein können, wird das Ganze ins Salonmilieu gestellt. Da findet sich eine Snobansammlung aus den 20er Jahren. Die Herren im Dandylook hätte man der ohnehin schon leidenden Daphne ersparen können.

Thielemann erweist sich wieder als kongenialer Strauss-Dirigent. Nie läßt er das Orchester auftrumpfen, was dem ohnehin schwer verständlichen Text auch nicht gutgetan hätte. Die lyrischen Szenen hat er ebenso sicher im Griff wie die dramatischen Momente, die freilich in dieser Oper im Gegensatz zu vielen anderen Strauss-Werken kein Übergewicht haben.

Nancy Gustafson ist als Sängerin wie als Schauspielerin bewundernswert präsent, Roberto Sacca und John Horton Murray sind als Leukippos und Apollo stilsicher und ausdrucksstark auf Liebespirsch. Sicherlich verfügt die Deutsche Oper nicht mehr über ein solch bedeutendes Sänger-Ensemble, wie das noch vor Jahren der Fall war. Aber eine neue Ära, die schon mit der Berufung von Thielemann begonnen hat, zeichnet sich deutlich ab. Von Kritikern gern als konservativ verschrien, wird er sich gemeinsam mit Zimmermann verstärkt der musikalischen Moderne annehmen. Das Haus braucht neue Konturen.


 
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