© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Literatur: Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers und Abenteurers Ernest Hemingway
Gefangen in einem tödlichen Kreislauf
Werner Olles

Ernest Hemingway – sein eigentlicher Name lautete Ernest Miller – wurde am 21. Juli 1899 als zweites von sechs Kindern in Oak Park, einem kleinen Vorort von Chicago, Illinois geboren. Während seiner Schulzeit in der Oak Park High School fiel er besonders durch seine sportlichen Erfolge auf – unter anderem war er ein sehr guter Boxer. Aber auch auf literarischem Gebiet waren seine Leistungen bemerkenswert. Neben dem Schreiben und Boxen liebte der junge Mann vor allem das Leben in der freien Natur, gemeinsam mit seinem Vater ging er jagen und fischen, und diese Neigungen sollten ihn sein Leben lang begleiten.

1917 meldet sich Hemingway freiwillig zum Dienst in der amerikanischen Armee, aber der frisch Graduierte wird wegen einer durch den Boxsport erlittenen Armverletzung zurückgewiesen. So geht er nach Kansas City in Montana und bewirbt sich dort als Reporter bei der größten Lokalzeitung, dem Star. Jedoch hält es ihn hier nicht allzu lange. Als Chauffeur der Hilfsorganisation "Rotes Kreuz" gelingt es ihm, auf den österreichisch-italienischen Kriegsschauplatz zu kommen. Bei Fossalte di Piave wird er 1918 schwer verwundet. Noch schwerer wiegen allerdings die seelischen Verletzungen durch das grausame Kriegsgeschehen, die sein künftiges Leben, vor allem aber sein schriftstellerisches Werk, entscheidend beeinflussen werden.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kehrt er für kurze Zeit nach Amerika zurück. Hier lernt er die Mitglieder der sogenannten "Chicago Group" und deren Nestor S. Anderson kennen, Literaten, die einen Stil der "radikalen Einfachheit" pflegen, dem auch Hemingway zuneigt.

Nach seiner ersten Eheschließung geht er als Auslandskorrespondent der kanadischen Zeitung Toronto Star wieder nach Europa. In Paris trifft er die Schriftstellerin und Psychologin Gertrude Stein. Unter ihrem Einfluß entstehen seine ersten Kurzgeschichten: "Three Stories and ten Poems", die jedoch zunächst recht wenig Beachtung finden. Erst 1925, zwei Jahre später, erscheint sein erstes Buch, "In our Time" (dt. In unserer Zeit), eine Sammlung von Erzählungen. Hemingways Stil der spontanen Unmittelbarkeit, der den Charakter der Sprache durch das jeweils dargestellte Bewußtsein bestimmt, kommt hier bereits deutlich zum Ausdruck.

Sein erster Roman "The Sun also rises" (1926, dt. Fiesta) wird hingegen ein grandioser Erfolg. Der Dichter beschreibt hier eindrücklich das sinn- und ziellose Leben der sogenannten Lost Generation, jener Veteranen des Weltkrieges, die als "Vaterlandsflüchtige" in Paris oder Madrid ihre seelischen und körperlichen Verwundungen mit Alkohol, Drogen und Affairen zu betäuben versuchen. Held seines Romans ist der Journalist Barnes, der durch eine Kriegsverletzung impotent geworden ist und seiner großen Liebe daher entsagen muß. Noch pessimistischer ist "A Farewell to Arms" (1929, dt. In einem anderen Land). Für den Offizier Henry, der die Armee, in der er tapfer gekämpft hat, verlassen muß und dessen Geliebte, Catherine, die bei der Geburt ihres Kindes stirbt, wird das Leben zur Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Auch Hemingways Buch über den Stierkampf, der ihn stark faszinierte, "Death in the Afternoon" (1932, dt. Tod am Nachmittag), ist von äußerstem Pessimismus beherrscht.

Privat unternimmt der Dichter – er ist inzwischen von seiner ersten Frau geschieden und hat erneut geheiratet – in den dreißiger Jahren ausgedehnte Reisen durch Europa und Afrika. Seinen Hauptwohnsitz nimmt er jedoch in Key West, Florida, wo er seine Zeit mit Fischen und Alkoholorgien verbringt, für ihn wohl die angemessenste Art von Auflehnung gegen jene Teile der bürgerlichen Gesellschaft, die seiner Meinung nach den Ersten Weltkrieg verschuldeten.

Als in Spanien der Bürgerkrieg zwischen General Francos Nationalisten und den linken Republikanern ausbricht, ist er 1936 als Kriegsberichterstatter dabei, um die Sache der Franco-Gegner zu unterstützen. Nach seiner Rückkehr aus Spanien wird er 1940 abermals geschieden, aber auch die dritte Ehe mit einer Schriftstellerin sollte nur kurze Zeit dauern.

1940 erscheint sein Roman aus dem spanischen Bürgerkrieg: "For whom the Bell tolls" (dt. Wem die Stunde schlägt). Der Titel ist einem Gedicht des von Hemingway verehrten Lyrikers John Donne entnommen. Held des Romans ist der Amerikaner Robert Jordan, der den Auftrag hat, eine strategisch wichtige Brücke zu sprengen. Es ist jedoch weniger diese eher kurze Episode, die sich vor dem epischen Hintergrund des Bürgerkrieges abspielt, als vielmehr Jordans Liebe zu der schönen Guerillera Maria, die der Grausamkeit des Kriegsgeschehens eine menschliche Alternative gegenüberstellt. Daß diese Liebe in den Wirren des Krieges keine Chance haben kann, beschreibt der Autor mit einer Sensibilität und Eindringlichkeit, die den Leser nicht unberührt läßt.

Hemingways Kurzgeschichten "Die Killer", "Die fünfte Kolonne", "Das Ende von etwas", "Schnee am Kilimandscharo" zeichnen sich durch äußerste Sparsamkeit an Worten und Schilderungen sowie durch die Hintergründigkeit ihrer Dialoge aus und stehen seinen Romanen in nichts nach. Sein Prosastil, der an Mark Twain und Stephen Crane erinnert, die Einfachheit, Kraft und Genauigkeit im Erzählen machte ihn zu einem führenden Prosaisten der anglo-amerikanischen Literaturszene. Sein viril-männliches Weltbild erschien einigen Kritikern als zu "eng"; Hemingway vermied es, abstrakt zu denken. Doch seine Auffassung vom Leben als eines Zusammenhangs sinnlicher Empfindungen und seine Darstellung der Welt als einer von Gewalten durchtobten Arena, in der der Mensch unter Druck seine Würde bewahren muß, übten auf das Denken und die Haltung jener Zeit eine tiefe Wirkung aus.

1944 heiratet Hemingway Mary Welsh und kauft eine große Farm in der Nähe der kubanischen Hauptstadt Havanna. Über zehn lange Jahre wird der Schriftsteller, der während des Zweiten Weltkrieges mit der US-Army in Europa war, nichts mehr veröffentlichen. Schwere Depressionen und sein Wissen, daß die aus den Fugen geratene Welt sich nicht mehr in Ordnung bringen läßt, treiben ihn immer wieder in die Bars und Bordelle Havannas. Der frühere Großwildjäger und Kriegsberichterstatter ist längst zum notorischen Trinker geworden, der – was ihn in noch tiefere Depressionen stürzen läßt – schließlich auch seine Potenz verliert.

Erst 1950 erscheint endlich wieder ein neues Buch. Es ist der Dialogroman "Across the River and into the Trees" (dt. Über den Fluß und in die Wälder), der allerdings von der internationalen Literaturkritik ziemlich unfreundlich aufgenommen wird. Zwei Jahre später wird er seine Erzählkunst mit der Parabel über die Jagd nach einem riesigen Schwertfisch im Golfstrom krönen: "The old Man and the Sea" (1952, dt. Der alte Mann und das Meer). Diesmal wird er von den Kritikern in den allerhöchsten Tönen gelobt, aber er selbst empfindet in einer Art Panik das Buch als Epilog auf alle seine Werke, und dies obwohl binnen 48 Stunden 5,4 Millionen Exemplare verkauft werden und er 1954 den Nobelpreis für Literatur erhält.

Sein seelisches Gleichgewicht kehrt jedoch selbst nach dieser großen Ehrung nicht mehr zurück. Gefangen in einem tödlichen Kreislauf aus Alkoholexzessen, Depressionen und noch mehr Alkohol, nimmt der Dichter – der inzwischen in Ketchum, Idaho, lebt – am 2. Juli 1961, nur wenige Tage vor seinem 62. Geburtstag, eines seiner Jagdgewehre und schießt sich in den Kopf.

Mit dem Tode Hemingways verlor die amerikanische Literatur einen Autor, dessen kraftvoll-maskuliner, von allen unnötigen Sentimentalitäten, Schönfärbereien und Überfrachtungen befreiter Prosastil auf die Epoche der vierziger und fünfziger Jahre eine gewaltige kulturelle Wirkung ausübte.

Ernest Hemingway war zeit seines Lebens fasziniert von der Gewalt und dem Tod, was zugleich sein tiefes Interesse an Kriegen und Bürgerkriegen und seine große Leidenschaft für die Jagd und gefährliche Sportarten erklärt. Dies hat ihm neben anderen zahlreichen Angriffen auch den Vorwurf der "mangelnden Intellektualität" eingebracht. Seine Kritiker haben allerdings nie verstanden, daß gerade in diesen klaren und einfachen sinnlichen Empfindungen für ihn die wahren Werte und Ideale des Lebens lagen. Daß er schließlich an sich selbst scheiterte, als er erkennen mußte, diesen von ihm verklärten Werten nicht mehr zu genügen, gehört zum persönlichen Schicksal und zur großen Tragik dieses Dichters und Abenteurers.


 
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