© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Alle wollen Scharping
von Hans Brandlberger

Rudolf Scharping hat die Chance, sich beruflich zu verbessern. Er wird sie aber nur dann ergreifen, wenn der Gang nach Brüssel nicht als Flucht aus der Verantwortung für die Bundeswehr interpretiert werden kann. Zunächst gilt es, all jene Entscheidungen aus Überzeugung mitzutragen, welche unter dem Diktat der Haushaltspolitik die Substanz des nicht im Einsatz befindlichen Großteils der Streitkräfte weiter aushöhlen. Dann, nach erfolgreicher Gesichtswahrung, könnte der Wechsel in das Amt des Nato-Generalsekretärs durchaus erfolgen.

Hier wird es Rudolf Scharping nicht so leicht haben wie derzeit als Verteidigungsminister. Man wird ihn mit Javier Solana vergleichen, der die Allianz gelassen und mit diplomatischem Geschick zur ersten Osterweiterung und durch den Kosovo-Krieg hindurch führte. Rudolf Scharping ist aber unter der Voraussetzung einer rot-grünen Koalition wahrscheinlich die beste Besetzung für die Hardthöhe. Er ist distanziert genug, um nicht so viel wie möglich von der traditionellen Bundeswehr bewahren zu wollen. Dies könnte ihn befähigen, die Streitkräfte endlich auf ein Fundament zu stellen, das den finanziellen Möglichkeiten der Bundesrepublik Rechnung trägt und auch die wachsende Wehrunlust einer sinkenden Zahl von Wehrfähigen würdigt. Er steht dem Militär ohne ideologische Scheuklappen gegenüber. Dies könnte es ihm erleichtern, einen grundsätzlichen Wandel im Konsens durchzusetzen. In Brüssel hingegen wird Rudolf Scharping mit Problemen anderen Kalibers zu tun haben. Er muß sich darauf einstellen, daß dem Krieg gegen Serbien vielleicht ähnliche Missionen folgen. Wird er sich das Gefühl moralischer Legitimation aber auch dann suggerieren können, wenn auf der anderen Seite einmal nicht mehr unzweideutige Massenmörder und Schlächter stehen? Er wird auch die Entscheidungen des Gipfels von Washington hinnehmen müssen, nicht zuletzt den erweiterten Sicherheitsbegriff, der in letzter Konsequenz Einsätze weltweit ermöglicht.

Einem Rudolf Scharping als Nato-Generalsekretär dürfte kaum konzediert werden, die Berechtigung des Bündnisses zur Selbstmandatierung allzu eng auszulegen. Und er wird auch kaum Gelegenheit finden, die amerikanische Hegemonie über unseren Kontinent in Frage zu stellen, wenn denn die sich immer mehr Ballast in Ost- und Südosteuropa aufladende Allianz handlungsfähig bleiben soll. Dies alles sind Auflagen und Perspektiven, die wenig einladend klingen. Die beste Gesichtswahrung wäre für Scharping, Minister unter Gerhard Schröder zu bleiben. Die Probleme der Bundeswehr kann er lösen. Der Nato kann er aber keine Impulse geben.


 
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