© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/99 23. Juli 1999 |
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Geheimdienste: Datenstaubsauger bleibt in Betrieb Freund hört mit Michael Wiesberg Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juli darf der Bundesnachrichtendienst (BND) auch weiterhin den drahtlosen internationalen Fernmeldeverkehr mit einem elektronischen Raster abhören. Die Karlsruher Richter hatten über die Verfassungsbeschwerden eines Strafrechtsprofessors, zweier Journalisten und der Verlegerin der tageszeitung gegen die Überwachungsmöglichkeiten des BND zu entscheiden. Das höchste Gericht billigte damit die 1994 erweiterten Überwachungsbefugnisse des BND zwar im Grundsatz, erklärte sie aber in Teilen für verfassungswidrig. "Zufallsfunde" über geplante oder bereits begangene Straftaten, die der Geheimdienst bei seiner Aufklärungsarbeit endeckt, darf dieser nur noch unter Einschränkungen an die Polizei weitergeben. Nach Auffassung des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichts ist die Erweiterung der Abhörbefugnisse des BND auf internationalen Terrorismus, Drogen- und Kriegswaffenhandel mit dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses vereinbar, weil die organisierte Kriminalität die außen- und sicherheitspolitischen Belange der Bundesrepublik in erheblichem Maße betreffe. Diese Aufgabenerweiterung, die unter dem Begriff "verdachtslose Rasterfahndung" läuft, wurde im Zuge der Umsetzung des Gesetzes zur Verbrechensbekämpfung im Jahre 1994 vorgenommen. Bis dahin war die BND-Aufklärung auf die Gefahr eines bewaffneten Angriffes auf die Bundesrepublik begrenzt. Informationen werden heute in erster Linie mit elektronischen Hilfsmitteln gesammelt. Die Kompetenzen des BND auf diesem Gebiet sind vergleichsweise bescheiden, legt man die Aktivitäten ausländischer Geheimdienste wie der National Security Agency (NSA) zugrunde. Zu den Hilfsmitteln, die der BND einsetzt, gehört der sogenannte "Staubsauger im Äther", ein computergesteuerter Großrechner, der Telefonleitungen nach Informationen auf bestimmte Schlüsselbegriffe hin durchsucht. Die Mitarbeiter des BND verwenden in dem "Staubsauger"-Computersystem Programme, die auf dem freien Markt nicht zu haben sind. Diese Programme wurden entwickelt, um aus Telefongesprächen oder Datenübermittlungen Informationen herauszufischen, die unter Umständen in den Aufgabenbereich des BND fallen. Diese Programme erlauben es, Schlüsselbegriffe zu definieren, mit denen die drahtlose elektronische Kommunikation durchsucht werden kann. Dabei handelt es sich entweder um Worte oder um Zahlen- oder Ziffernkombinationen. Laut dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Jacob, werden vom BND täglich an die hunderttausend Telefon-und Faxverbindungen überwacht und an die viertausend Gespräche aufgezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, in das Raster des BND zu fallen, ist eher gering. Von den etwa acht Millionen täglichen Auslandsverbindungen werden nach Angaben des BND-Präsidenten August Hanning nur ca. zehn Prozent über den nicht leitungsgebundenen Fernmeldeverkehr abgewickelt nur für diesen gelten die Überwachungsbefugnisse. Die übrigen Auslandstelefonate laufen vor allem über Glasfaserkabel und damit außerhalb der Kontrollmöglichkeiten des BND. Aus deutscher Sicht sehr zu begrüßen wäre eine Ausweitung der Kompetenzen des BND im Hinblick auf die immer weiter ausufernde Wirtschaftskriminalität. Seit Ende des Kalten Krieges ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind im Hinblick auf die Wirtschaftsspionage hinfällig geworden. Deutschland ist als Hochtechnologiestandort zum bevorzugten Operationsgebiet ausländischer Geheimdienste geworden, wobei es keine Rolle spielt, wie freundschaftlich die Beziehungen zu den betreffenden Staaten sind. Der BND befindet sich in der absurden Situation, zwar zu wissen, welche deutschen Firmen gerade Zielobjekt ausländischer Geheimdienste sind, dennoch aber nicht aktiv werden zu können. Dem BND ist gesetzlich untersagt, entsprechende Warnungen an die betroffenen Firmen weiterzugeben. Mit Recht hat der Manager der deutschen Firma Bayer, Hoffmann, diesen Zustand als nicht mehr hinnehmbar bezeichnet. Hoffmann wörtlich: "Wir müssen uns daran gewöhnen, daß die Wirtschaft ein Teil der nationalen Sicherheit ist". Die erzwungene Passivität des BND kommt Deutschland teuer zu stehen: nach (sehr) vorsichtigen Schätzungen muß von Verlusten von mindestens 20 Milliarden DM ausgegangen werden, die den deutschen Firmen jährlich durch Spionageaktivitäten entstehen. Der tatsächliche Schaden dürfte doppelt so hoch liegen, weil viele betroffene Firmen aus Imagegründen einen Spionageangriff nicht zur Meldung bringen. Laut Erkenntnissen des baden-württembergischen Verfassungsschutzes waren 1997 zwei Drittel der Spionageaktiväten, die im Lande registriert wurden, gegen Wissenschaft und Wirtschaft gerichtet. Nur acht Prozent galten noch der militärischen Ausspähung. Es wird Zeit, daß der BND auf diesen Paradigmenwechsel in der internationalen Spionageszene endlich angemessen reagieren kann. |