© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Gedenken: Veranstaltungen zum 55. Jahrestag des 20. Juli
Sippenhaft für zwei Brüder
Ralf Fritzsche / Philip Bern

Es lebe das heilige Deutschland", prangt auf einem Transparent an der Potsdamer Straße, in der Mitte Berlins. Die "Deutschland-Bewegung" von Alfred Mechtersheimer hat sich der letzten Worte des Grafen von Stauffenberg angenommen, um "für ein freies, unabhängiges Deutschland einzutreten". Provokation scheint hier einer der Beweggründe zu sein, doch es geht um mehr. Zum 55. Mal jährt sich der 20. Juli, an dem das berühmte Attentat auf Adolf Hitler in der Wolfsschanze begangen wurde. Dies ist Anlaß und Grund, zu "Information" und "Diskussion", sagt Gert Schneider, Sprecher der "Deutschland-Bewegung" in Berlin.

Doch es kommt anders, das Transparent muß weg. Der Leiter der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand", Tuchel, besteht auf seinem Hausrecht. Er hat eine Veranstaltung anläßlich des Widerstandes geplant, und obwohl er es eigentlich besser wissen müßte, soll dieser Ausspruch des berühmtesten Widerstandskämpfers weg.

Langhaarige Beobachter am Straßenrand schütteln den Kopf. Auch sie sind Angehörige der "Deutschland-Bewegung" und entsprechen so gar nicht dem stereotypen Bild des jugendlichen, kurzgeschorenen Rechten. Das Wichtigste sei, so ein Zopfträger, "daß man als Patriot nicht gleich ein Rechtsradikaler sein muß – und das sieht man auch an dem Beispiel Stauffenbergs".

Szenenwechsel. Im Otto-Braun-Saal spricht Franz von Hammerstein, ein ehemaliger Gestapohäftling, dessen beide Brüder als Mitverschwörer des 20. Juli untertauchen mußten. In Sippenhaft genommen, war er nacheinander Gefangener in Berlin, im KZ Buchenwald und als Sonderhäftling im KZ Dachau. Von Hammerstein führte Zitate von Mithäftlingen und Gefangenen an, die auch in anderen Haftanstalten oder Lagern saßen, um die Lage der Inhaftierten zu schildern. Seine eigenen Erlebnisse während der Haft und der darauffolgenden Zeit gaben dem Vortrag jedoch erst Farbe.

Da war das Verbot, während seiner Berliner Gefängniszeit mit Mitgefangenen zu reden, was nur umgangen werden konnte, indem man mit Kalfaktoren und Wärtern als Gesprächspartnern Kontakte zu Nachbarn herstellte. Ferner der Abtransport nach Buchenwald am 1. März 1945 und die dortige Unterbringung in einer Baracke außerhalb des Lagers, wo nicht nur Angehörige des 20. Juli, sondern auch andere Widerstandskämpfer inhaftiert waren. Und immer wenn der Ruf ertönte: "Fertigmachen zum Transport", weckte dies die Befürchtungen von Hinrichtung und Folter. So auch am 16. April, als von Hammerstein aus Buchenwald nach Dachau verlegt wurde und dort wiederum am 26. April unter schwerer Bewachung von SS-Schergen einen Marsch ins Unbekannte antreten mußte. Am 30. April wurde er in einem Bauernhof in einen Keller gesperrt, doch als er sich zusammen mit vier anderen Häftlingen am nächsten Tag herauswagte, war die SS verschwunden. "Die Bauern gaben uns Frühstück, die Amis fuhren vorbei, wir waren frei."

Das Wiedersehen mit seinem Bruder Konrad verlief auf ungewöhnliche Weise. Auf der Fahrt nach Norden, die er nach seiner Befreiung mit dem Fahrrad unternahm, begegnete ihm ein Landstreicher, der aus dem Graben kam. "Ich hatte Angst um mein Fahrrad, was mir schon einmal entwendet worden war." Doch die Person, vor der er Angst hatte, entpuppte sich als sein Bruder Konrad.

Sein Bruder Ludwig überlebte ebenfalls in Berlin. Dort konnten Freunde die russischen Besatzer davon überzeugen, daß er im Widerstand aktiv war und bewahrten ihn somit vor der Deportation nach Sibirien.

Wie ging er mit diesem Schicksal um? Er studierte Theologie in Bethel und gründete mit Lothar Greißig, der im Dritten Reich mutig das Euthanasieprogramm bekämpfte, die Aktion Sühnezeichen, die es sich zum Ziel setzte, auf christlicher Basis eine überkonfessionelle Institution der Versöhnung ins Leben zu rufen und zu unterhalten. Häftlinge verschiedener Konfessionen, verschiedener Ideologien und verschiedener Nationalitäten saßen als Gefangene zusammen.

Die Beschäftigung mit dem 20. Juli hat nach wie vor nicht an Faszination verloren. Bei der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" gehen allein per Internet jährlich 35.000 Anfragen ein, davon 40 Prozent aus Deutschland und 40 Prozent aus den USA.


 
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