© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Tierschutz: Untersuchungen über die Leguane der Galapagos-Inseln
Die seltenste Echse der Welt
Kornelia Rassmann/ Ulrich Karlowski

Die Entstehung der Artenvielfalt der Erde ist eines der faszinierendsten Kapitel der Biologie. Nicht nur weil sich eine über Hunderte von Millionen Jahren andauernde Entwicklung oft nur schwer nachvollziehen läßt, sondern auch weil die Natur manchmal mit Überraschungen aufwartet, die Forschern viel Kopfzerbrechen bereiten. Wie bei der seltsamen Echse, die Anfang der 80er Jahre auf der Insel Plaza Sur im Galapagos-Archipel entdeckt wurde. Die morphologischen Merkmale des Tieres paßten weder ganz zur einen noch zur anderen der beiden hier vertretenen Leguangattungen. Der naheliegende Schluß, daß es sich um eine Mischform, einen Hybriden, handeln könnte, wurde jedoch rasch verworfen. Nach dem damaligen Stand der Wissenschaft hielt man es für äußerst unwahrscheinlich, daß eine erfolgreiche Vermehrung zwischen Meerechse und Landleguan möglich sei. Tiere verschiedener Wirbeltiergattungen verpaaren sich normalerweise nicht miteinander und schon gar nicht, wenn es sich um genetisch derart weit voneinander entfernte Verwandte wie die Galapagos-Leguane handelt. Molekularbiologische Untersuchungen zeigten, daß sich die beiden Linien bereits vor mehr als 10 Millionen Jahren trennten.

So geriet die "Weirdo" (Sonderling) getaufte Echse rasch wieder in Vergessenheit. Jahrelang lebte sie ungestört auf ihrem Eiland, bis sie eine Forschergruppe vom Zoologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München vor fünf Jahren wieder aufstöberte. Durch ihr ungewöhnliches Aussehen war sie leicht zu finden. "Weirdo" wurde gründlich vermessen, gewogen, fotografiert und mußte sich Blutproben entnehmen lassen. Mit Hilfe ausgetüftelter Genanalysen kamen die Wissenschaftler der Herkunft des Sonderlings auf die Spur. Das eindeutige Resultat: Weirdo ist tatsächlich ein Mischling mit einem Landleguan als Mutter und einer Meerechse als Vater.

Wie aber konnte etwas passieren, das eigentlich nicht sein kann, und wieso fand dies nur auf einer einzigen der mehr als 40 Galapagos-Inseln statt?

Beide Gattungen sind weit verbreitet im Archipel und leben oft gemeinsam auf einer Insel. Plaza Sur ist mit 0,12 Quadratkilometer Fläche allerdings sehr klein, trotzdem tummeln sich hier an die 300 Landleguane und rund 500 Meerechsen. Es ist die einzige Insel, auf der sich die beiden Echsen so richtig nahe kommen. Männliche Meerechsen können hier, angetrieben von ihrem ausgeprägten Sexualtrieb, der sie sogar vor Paarungsversuchen mit anderen Männchen nicht zurückschrecken läßt, auch Landleguanweibchen als Partnerinnen wählen.

Wenn derartige Paarungen öfters passieren und die Nachkommen sich wiederum mit anderen Leguanen fortpflanzen, so kann dies für die Artentwicklung eine entscheidende Rolle spielen. Auf diese Weise gelangt genetisches Material der einen Gattung in die andere. Ein solcher Transfer kann die genetische Fitneß der Gattungen verändern und ihre Überlebensfähigkeit sowohl positiv als auch negativ beeinflussen.

Ist der "Weirdo" also ein Genkurier, der es den Echsen ermöglicht, nach Millionen von Jahren der genetischen Trennung wieder miteinander in Verbindung zu treten, oder handelt es sich nur um eine unbedeutende Laune der Natur? Leider ließ sich nicht mehr feststellen, ob der Hybrid tatsächlich fortplanzungsfähig war. Die zu wissenschaftlicher Berühmtheit gelangte Echse starb kürzlich an Altersschwäche.

Da auf Plaza Sur jetzt aber gleich mehrere Exemplare der sonderbaren Leguane aufgetaucht sein sollen, wird sich die biologische Bedeutung der rätselhaften Echsenpaarungen vielleicht doch noch aufklären lassen.


 
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