© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/99 23. Juli 1999 |
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Pankraz, W. R. Hearst und die Ära der nehmhaften Publizisten Noch immer nicht ist der Verbrecher im Berliner Tagesspiegel gefunden, der dem Chefredakteur dort so schrecklich die Suppe versalzen hat. Dieser hatte in einem Brief an die lieben Leser eine neue Preiserhöhung rechtfertigen wollen, u.a. mit dem Argument, die Zeitung werde doch immer besser, sie habe gerade in der letzten Zeit einige "namhafte Journalisten" eingestellt. Der Verbrecher aber wartete ab, bis alle Texte ordentlich durch die Korrektur gelaufen waren, schlich sich dann an den Computer und änderte die Wendung "namhafte Journalisten" hinterrücks in "nehmhafte Journalisten" um. Das Gelächter in der Leserschaft am nächsten Morgen war groß, der Chefredakteur wütete und schwor Rache, der Skandal war da. Dabei muß man zugeben: Der Verbrecher hat auf fast schon geniale Art ins Schwarze getroffen. Er scheint nicht nur ein boshafter, sondern auch ein ungemein witziger und branchenerfahrener Zeitgenosse zu sein, um den es schade ist. "Namhaft" und "nehmhaft" sind heute ja tatsächlich weitgehend zu Synonymen geworden, besonders in der Publizistik. Einen "Namen" hat nur noch, wer einen hohen "Marktwert" hat, und einen hohen "Marktwert" hat nur derjenige, der sich so teuer wie möglich verkauft, ganz abgesehen davon, ob er etwas zu bieten hat. Verkaufsstrategie rangiert eindeutig vor Qualität. Pankraz möchte niemandem zu nahe treten, empfiehlt jedoch allen, die sich dafür interessieren, sich einmal den beruflichen Werdegang "namhafter", also meistgenannter und höchstbezahlter, deutscher Publizisten aus neuerer Zeit genauer anzusehen. Man wird bemerken, daß das keineswegs "erfolgreiche" Publizisten sind, nicht einmal in dem Sinne, daß sie die Auflage der ihnen anvertrauten Zeitungen und Zeitschriften kontinuierlich steigern, im Gegenteil, es sind in der Regel ausgesprochene Kaputtmacher, Leutevertreiber, Auflagensenker. Wie Urwaldaffen hangeln sie sich elegant von einer erfolgreich gesenkten Auflage zur anderen, und ihr Marktwert steigt dabei immer höher. Einige wenige gleichen Physik- oder Chemie-Nobelpreisträgern, die immerhin einmal in ihrem Leben einen spektakulären Einfall gehabt haben und nun unzerstörbar in dem Ruf stehen, "gewiefte Macher" zu sein, die man gewissermaßen blind buchen könne. Bei den anderen gibt es nicht einmal diesen originellen Paukenschlag am Anfang, nur Rutschbahn und Blechmusik. Sie können nicht gut schreiben (wenn sie überhaupt schreiben können). Sie sind nicht gebildet, weder witzig noch scharfsinnig noch mutig. Sie können nicht organisieren, richten überall, wo sie hinkommen, Chaos an, frustrieren die Mitarbeiter, befördern Cliquenwirtschaft und innerbetriebliches Mobbing und haben auch noch die Stirn, dies alles als kostbares Kreativitätsklima auszugeben, als "wahrhaft schöpferische Atmosphäre", die dem Unternehmen so sehr gefehlt habe, bevor sie kamen. Es sind Matadore des puren Scheins. Ihr eigentliches Talent aber liegt eindeutig in ihrer Nehmhaftigkeit. Auch wenn sie es nie über armselige Vierzehnzeilen-Kommentare hinausbringen, auch wenn sie nie eine eigene Meinung gehegt haben und viel zu faul zum ordentlichen Recherchieren sind, so verstehen sie es doch auf durchaus bewundernswerte Weise, eine Aura der Erlesenheit und der faktischen Unbezahlbarkeit um sich herum aufzubauen, so daß Vorstände und Aufsichtsräte automatisch tief in die Tasche greifen, um ihrer habhaft zu werden, und ihnen nach erfolgter Pleite höchste Abfindungen zahlen. Das hat natürlich damit zu tun, daß Vorstände und Aufsichtsräte zum guten Teil selber vom Klub der Nehmhaften sind, auch und gerade in der Medienbranche. Es gilt dort längst nicht mehr der berühmte Merksatz des alten Zeitungszaren William Randolph Hearst: "Was gut ist, das muß nicht teuer sein", sondern nur noch der Blenderspruch moderner Werbefuzzis: "Was teuer ist, lieber Kunde, das ist auch gut" ("gut nämlich für uns", vermeiden sie hinzuzufügen). Im alten Sinne des Wortes "namhafte" Publizisten stören in sol- Freilich könnte man melancholisch werden, gedenkt man der Zeiten, da noch wirklich namhafte Publizisten unterwegs waren und sich mit Apanagen zufriedengaben, für die heutige Kabelträger nicht einmal den kleinen Finger rühren würden. Zeiten also, da Publizisten wie Paul Sethe schrieben, Benno Reifenberg, Hans Zehrer, Giselher Wirsing, William S. Schlamm, Winfried Martini, auch Rudolf Augstein. Auf die Hervorbringungen dieser Recken freute man sich einst, wie man sich heute, was die Medien betrifft, nur noch auf die Fernsehübertragung eines großen Fußballspiels freut. Wäre den Martini & Co. ein Computerhacker gekommen, um durch Auswechseln zweier Buchstaben in einem Text ihre Namhaftigkeit zu ironisieren, sie hätten den Anschlag gar nicht verstanden, hätten gar nicht mitbekommen, worauf es der Hacker angelegt hatte. Wieso reagieren die Herren vom Tagesspiegel ihrerseits eigentlich so allergisch, wieso sind sie nicht in der Lage, über den Anschlag zu lachen, setzen statt dessen hochnotpeinliche Untersuchungen in Gang, wobei der "Kreis der Verdächtigen", wie sie triumphierend mitteilen, "bereits bedrohlich eng wird"? So reagiert man doch nur, wenn man sich getroffen fühlt. |