© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Ausstellung: Die Geschichte der Mark von 1945 bis heute
Der vergiftete Apfel
Frank Philip

Scheiden tut weh. Nur schweren Herzens nehmen die Deutschen Abschied von der stabilen D-Mark, der sie ein Gutteil des Wirtschaftswunders nach dem Kriege und großen Wohlstand verdanken. Der Euro stößt trotz massiver Propaganda bislang auf Skepsis. Wurde seitens der Politik häufig der Versuch unternommen, das Alte schlechtzumachen, wenn die Argumente pro Euro nicht zogen – erinnern wir uns an Herrn Kinkels peinliches Diktum von der "Dorfwährung" –, so überrollt nun eine zweite Welle der "Information" das Land. Ungezählte Bücher werfen einen wehmütigen Blick zurück, und auch offizielle Stellen leisten sich jetzt, da die Währungsunion beschlossene Sache ist, ein gewisses Maß an Nostalgie.

Die Staatliche Münzsammlung München zeigt in ihren Räumen in der Residenz eine kleine Sonderschau "Ade DM!" zur Geschichte der Nachkriegswährung. Das ebenso pfiffige wie trotzige Ausrufezeichen hat dabei vielleicht die Aufgabe, den Besucher vorzuwarnen. Revisionistische Gedanken beim Betrachten der Exponate sind strengstens verboten. Manche Schaustücke befördern solche jedoch unweigerlich, etwa die Jubelmeldungen zum Start des Euro. Die Bild-Zeitung fand den Euro Anfang Januar "bärenstark", die SZ sah den "Dollar in der Defensive", und der Spiegel fabulierte bereits von der "neuen Weltmacht EU". Heute bedauert Bild ganz mitleidig den "armen Euro", wenn dieser wieder einmal auf ein neues Rekordtief fällt.

Vollends ins Bodenlose aber fiel nach dem Weltkrieg die Reichsmark, mit der die Ausstellung beginnt. Die alten Scheine waren nach dem militärischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch praktisch wertlos, denn der Schwarzmarkt rechnete in amerikanischen Zigaretten. Neben Pall Mall, Camel und Chesterfield kursierte auch etliches regionales Notgeld, das von Gemeinden, Kreisen oder Firmen gedruckt wurde. In den Hungerjahren von 1945 bis 1948 gaben offizielle Stellen zudem Lebensmittelkarten und sonstige Bezugsscheine an Kriegsgeschädigte, um das blanke Überleben zu sichern. Der wohlstandsverwöhnte Michel von heute staunt über Kuriositäten wie den Warentauschzettel oder die Schuhreparaturkarte. Den bitteren Ernst der Hungerkarikatur spürt er wohl kaum noch: Ein Arzt diagnostiziert bei seinem Patienten "Zucker", und dieser antwortet hocherfreut: "Ja richtig, brauchen Sie welchen?"

Eine Währungsreform war also dringend geboten, um das Vertrauen in die Währung wiederherzustellen. Die Banknoten wurden in den USA hergestellt und unter strenger Geheimhaltung nach Deutschland verschifft. Der Termin durfte nicht an die Öffentlichkeit dringen, da Panikreaktionen der Besitzer großer Bargeldsummen zu befürchten waren. Noch wenige Tage vor dem 20. Juni 1948 rätselten deutsche Zeitungen, wann der Umtausch beginnen sollte, und eine Handelsgesellschaft lobte eine stattliche Summe für den aus, der den Tag exakt benennen könne.

Die ersten D-Mark Scheine erinnerten in ihrer Gestaltung stark an den Greenback. Wenig später wurde die Serie komplettiert mit den Fünf-, Zehn- und Fünfzig D-Mark-Noten nach Entwürfen von Max Bittroff. Diese kamen aus Frankreich und bestanden aus viel dünnerem Papier. Besonders der Fünfer erregte die Gemüter, da die abgebildete barbusige Dame um die Moral der Jugend fürchten ließ. Alle Scheine trugen die Bezeichnung "Bank deutscher Länder", und als 1957 die Bundesbank gegründet wurde, war es naheliegend, eine neue Serie zu entwerfen. Zudem sollte das aufwendige Stichdruckverfahren, ergänzt um Sicherheitsfaden, Wasserzeichen und fluoreszierende Druckfarbe, die Scheine fälschungssicher machen. Die zweite Generation der D-Mark mit Motiven nach altdeutschen Malern hielt sich recht lange und mußte erst 1989 weichen.

Heute freuen wir uns über die Brüder Grimm oder Maria Sybilla Merian, Herrn Ehrlich trifft man seltener. Clara Schumann ist gern gesehen und weitverbreitet, Balthasar Neumann gut gelitten bei den Bundesbürgern. Annette von Droste-Hülshoff und Carl Friedrich Gauß dagegen sind kaum der Rede wert, und Frau von Arnim schon fast verschwunden aus unserem Portemonnaie.

Um das Jahr 2002 werden sie alle verschwunden und Geschichte sein, so wie der Saar-Franken oder die Ost-Mark der DDR. Und genauso wie im Jahr 1955 die "Aktion Blitz" der Ostberliner Staatsführung die Westberliner Wechselstuben treffen sollte – über Nacht wurden alle alten Scheine ungültig, und nicht einmal die Präsidentin der Notenbank wußte davon – so wird der Umtausch von Mark zu Euro wieder etlichen Besitzern von Schwarzgeld das Genick brechen. Von diesem Nebeneffekt der Währungsumstellung sprachen die Finanzminister natürlich nicht laut, doch kommt er sicher nicht ungelegen. Auch den Kreditinstituten, zumal den großen, kommt der Euro nicht ungelegen, und der Besucher der Münchner Ausstellung darf noch einmal ihre euphorischen Hochglanzwerbebroschüren ansehen und die der Parteien zur Bundestagswahl. Allerdings ist die Staatliche Münzsammlung um Ausgewogenheit bemüht. Neben den Banken und Bonner Altparteien finden sich auch Faltblätter einiger Anti-Euro-Bewegungen.

Ein Besuch der Ausstellung lohnt in jedem Fall. In die kühlen Räume der Münzsammlung dringen weder Hitze noch Lärm. Doch während die Euro-Scheine im Schaukasten wie vergiftete Äpfel bunt leuchten, tobt vor den Mauern der Residenz gerade eine heiße Kurden-Demo. Die vier Bronzelöwen von Hubert Gerhard mit den blanken Nasen am Portal der Residenz schauen wie immer grimmig zur Seite. Sie wissen, warum. Frank Philip


 
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