© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/99 23. Juli 1999 |
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Sonnenfinsternis am 11. August 1999: Der Moment, da Gott redet, und die Menschen horchen Todeskuß und Lichttropfen Frank Philip Ein Fisch, dicht an der Wasseroberfläche des Nordatlantik schwimmend, oder die Besatzung eines Kutters dreihundert Kilometer südlich von Neuschottland werden am frühen Morgen des 11. August die ersten sein, die es sehen: langsam, kaum merklich, schiebt sich vor die glühende Scheibe der Sonne ein finsteres Etwas, der Mond. Das Licht wird immer fahler, und ein leichtes Grauen beschleicht Fisch wie Matrosen, wenn schließlich der Mond den Lichtball gänzlich verschluckt. Mit rasanter Geschwindigkeit fliegt nun lautlos ein gewaltiger Schatten über die See. Kurz nach 11 Uhr erreicht er das britische Festland und hüllt auf seinem Weg einen Streifen von über hundert Kilometern Breite in Dunkelheit. Die Tiere werden unruhig, lassen sich nach kurzem Zögern aber täuschen und legen sich zur Ruhe; Blütenkelche schließen sich. Dagegen sind die Menschen alle gut vorbereitet, blicken gespannt an den Himmel (niemals ohne Schutzbrille!) und hantieren an den Fotokameras. Um 11.32 erreicht die Finsternis Paris, braust dann mit 3.300 Kilometer pro Stunde über Belgien und Luxemburg. Deutschland betritt der Schatten um 12:30 Uhr über das Saarland und huscht über Karlsruhe, Pforzheim, Heilbronn, Tübingen, Stuttgart, Göppingen, Aalen, Ulm, Augsburg, Ingolstadt und München (12:38). Im Norden Deutschlands verdunkelt der Mond die Sonne nur teilweise, während im Süden die Bewohner über zwei Minuten Zeit haben, die schwarze Sonne zu bestaunen. Dann bricht das Licht sich an der anderen Seite des Mondes durch Täler und Schluchten schon wieder Bahn. Wenn die Deutschen genügend gestaunt haben, senkt sich die Nacht über Wien und Bukarest. In der Türkei, dem Irak und Persien verweilt sie noch etwa fünfzig Minuten und entschwindet um 13:36 MEZ über dem Golf von Bengalen. Die Finsternis ist entlang der genannten Schneise total, doch insgesamt deckt sie kaum zwei Promille der Erdoberfläche ab. Bei seinem Ritt über die nördliche Halbkugel legt der gespenstische Schatten innerhalb von nur drei Stunden fast 14.000 Kilometer zurück. Wie kommt es zu einer totalen Sonnenfinsternis? Bedenkt man, daß der Mond einen Durchmesser von nur 3.500 Kilometer hat, und vergleicht man diesen mit dem der Sonne (1.392.000 Kilometer), so scheint es unmöglich, daß der Mond die Sonne komplett verdecken kann. Doch der größere Himmelskörper ist vierhundert mal so weit entfernt von der Erde, was den Größenunterschied ausgleicht. Wenn der Mond auf seiner Bahn die gedachte Linie zwischen Sonne und Erde durchkreuzt, so wirft er einen runden Schatten auf bestimmte Teile der Erde. Der Kernschatten ist um so größer, d.h. die Phase der totalen Finsternis für den Betrachter um so länger, je näher der Mond an der Erde und je weiter weg die Sonne sich befindet. Den äußersten Punkt (Aphel) der Kreisbahn um die Sonne durchläuft die Erde dieses Jahr im Juli, also zeitlich recht nahe am 11. August. Doch der Mond verhagelt uns ein wenig die Sonnenfinsternis, denn der erdnächste Punkt (Perigäum) seiner elliptischen Bahn liegt im August nicht so günstig. Die Astronomen errechnen aus diesen Daten zusammen mit anderen Faktoren (etwa dem Einstrahlwinkel der Sonne) die Dauer der Totalität. Diese beträgt am 11. August über Mitteleuropa etwas mehr als zwei Minuten und erreicht nahe der Stadt Bukarest ihren Höchstwert von 2:33 Minuten. Bei einem optimalen Zusammenspiel aller Faktoren kann die Finsternis bis zu 7:31 Minuten betragen. Eine Dunkelheit von annähernd dieser Länge wird es im Jahre 2186 geben. Das Phänomen der Sonnenfinsternis war in Deutschland zuletzt am 19. August 1887 zu beobachten, doch war der Himmel damals wolkenverhangen. Erst Ende des nächsten Jahrhunderts, am 21. Mai 2081, wird man das Schauspiel über Deutschland sofern dieses dann noch existiert wieder beobachten können. Eine partielle Sonnenfinsternis ist dagegen sehr viel häufiger, aber meist recht unspektakulär, da der Mond die Sonne dabei oft nur minimal anschneidet. Eine Sonnenfinsternis beginnt damit, daß der Mond sich von Westen kommend sachte vor die Sonne schiebt. Die partielle Phase der Finsternis dauert ungefähr 90 Minuten. Mit zunehmender Dauer wird es immer spannender, denn kurz bevor der Mond die Sonne zur Gänze verdeckt, glüht ein Reif mit einem feurigen Stern auf, der sogenannte Diamantring. Der Diamant erlischt recht bald, und gleich Perlenschnüren tropfen die letzten Funken Licht durch die Mondspalten, anschließend leuchtet die Sonnenatmosphäre als zackiger Kranz auf, die sogenannte Korona. Der österreichische Dichter Adalbert Stifter gibt folgende herrliche Beschreibung der Finsternis über Wien im Jahr 1842: "Endlich zur vorausgesagten Minute gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel empfing die Sonne den sanften Todeskuß ein feiner Streifen Lichts wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort (...) Seltsam war es, daß dies unheimliche, klumpenhafte, tiefschwarze vorrückende Ding unser Mond sein sollte, der schöne sanfte Mond, der sonst die Nächte so florig silbern beglänzte (...) Erschütternd war dies allmähliche Sterben mitten in der vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens." Und Stifter schauert vor einem "geisterhaften Abendwerden ohne Abendröte", sieht die Natur erstarren und sich entfremden; alles versinkt in einer gelbroten Finsternis. Wie in einem schwarzen Spiegel sieht er Schatten huschen, als die Sichel messerscharf zu einem Lichtfunken zusammenschmolz. "Es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten." Doch "gerade da die Menschen anfingen, ihren Empfindungen Wort zu geben ... gerade in diesem Moment hörte es auf: mit einem Mal war die Jenseitswelt verschwunden (...), ein riesiger Lichttropfen quoll am oberen Rand wie ein weißschmelzendes Metall hervor, und wir hatten unsere Welt wieder...". Diese Zeilen schildern bewegte Augenblicke aus einer Traumwelt und können vielleicht heutigen Traumtänzern und Apokalyptikern helfen: Stifters gute Erfahrung ("und wir hatten unsere Welt wieder...") sollte uns die Überlebenschance einer Sonnenfinsternis als hoch ansehen lassen. Professionelle Weltuntergangspropheten halten sich in den letzten Tagen erstaunlich zurück. Vermutlich kommt dies daher, daß sie sich bereits in der ersten Jahreshälfte verausgabt haben: Ende Mai war man der Apokalypse gerade knapp entronnen, schon stand drohend die Voraussage des mittelalterlichen Sehers Nostradamus vor der Tür ("Im Jahr 1999, im siebten Monat, kommt vom Himmel ein großer Schreckenskönig") Der Juli ist aber auch schon fast wieder vorbei, so ist der 11. August die letzte Chance auf einen Weltuntergang noch in diesem Jahrtausend! Von der Astrologenfront gab es dagegen weitgehend Entwarnung, denn "Finsternisse sind besser als ihr Ruf". Galten sie in früheren Zeiten noch als Boten schweren Unheils, wurden gar zum Schutze der Herrscher Ersatzkaiser zum Opfer gebracht, so betrachtet man sie heute auch in der Astrologenzunft etwas nüchterner. Ein Geburtshoroskop vom Moment der totalen Finsternis verspricht aber immer noch ein außergewöhnliches Leben. |