© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Ja sagen können
Karl Heinzen

Polizeistreifen auf der Fahndung nach Schulschwänzern, Videoüberwachung von Pausenhöfen: Pilotprojekte einer neuen Bildungsoffensive, die nicht allein aus neuen technologischen Möglichkeiten schöpfen kann. Je weniger Jugendliche es gibt, desto einfacher ist die öffentliche Ordnung gegen sie durchzusetzen. Das gewachsene Bewußtsein der Deutschen für ihre demographische Verantwortung dokumentiert also nicht nur eine Abkehr vom Götzendienst an der Vitalität, es hat auch Synergieeffekte für die Innere Sicherheit gebracht. Immer mehr Menschen, die in der Bundesrepublik eine kriminelle Beschäftigung gefunden haben, sind zudem nicht hierzulande sozialisiert worden. Unsere Gesellschaft kann von einer Verantwortung für sie freigesprochen werden. Offenkundig ist unser Bildungs- und Erziehungswesen doch nicht so schlecht wie sein Ruf.

Nun sollte, wer Verbrechen und ihre Bekämpfung öffentlich diskutiert, sicherlich der Versuchung widerstehen, ein politisches Thema daraus zu machen. Kriminalität ist nun einmal grundsätzlich Privatsache, sowohl was die Täter als auch was die Opfer betrifft, und der Staat kann hier nur der Mittler zwischen beiden Beteiligten sein. Man darf aber nicht vergessen, daß Verstöße gegen die Rechtsordnung selten unbedacht und oft ohne die Aussicht eines unmittelbar sich einstellenden persönlichen Nutzens erfolgen. Es muß davon ausgegangen werden, daß immer wieder Einzelne – und hier insbesondere junge Menschen – mit dem Gesetz in Konflikt geraten, weil sie sich davon eine Stärkung ihrer eigenen Persönlichkeit erhoffen, weil sie sich selbst dadurch profilieren wollen, daß sie die Gesellschaft und ihre Wertordnung herausfordern. Hier ist Kriminalität dann doch nicht frei von politischen Implikationen – die Biographie vieler Repräsentanten unserer staatlichen und geistigen Elite liefert dafür reichlich Anschauungsmaterial.

Ein Recht der Jugend auf die Revolte gibt es aber nicht, zumal dann nicht, wenn alle berechtigten Anliegen bereits durch eine noch nicht begrabene Generation durchgesetzt wurden. Wir haben zwar das Glück, es überwiegend mit jungen Menschen zu tun zu haben, die ihr persönliches Glück suchen und finden, ohne einen Gedanken an unsere Gesellschaft verschwenden zu müssen. Und wir haben auch begriffen, daß Freiräume für ausgewählte Regelverletzungen Zufriedenheit schaffen und selbst dann systemstabilisierend sind, wenn ihre Ausschöpfung zum Pflichtprogramm der Adoleszenz gehört. Wir müssen aber gewärtigen, daß viele Jugendliche das rechte Maß verfehlen könnten, weil ihre Integration so spät begonnen wurde. Gegen sie muß mit aller Härte vorgegangen werden, sobald ihre Einbürgerung dies erlaubt. Eine wohl verstandene Immigrationspolitik verfolgt auch in der Regelung von Formalitäten der Staatsbürgerschaft das übergeordnete Ziel, allen Menschen ein Leben in der unbedingten Bejahung des Bestehenden zu ermöglichen.


 
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