© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Bundeswehr: Durch Sparzwang gerät die deutsche Sicherheitspolitik in Gefahr
Armee unterm Hammer
Dieter Stein

Deutschland ist pleite. Das Land lebt über seine Verhältnisse, die Staatsquote liegt bei über 50 Prozent. Immer mehr Kompetenzen hat der Staat an sich gerissen, die nun teuer bezahlt werden müssen. Lange auf Pump finanziert – nun ist Ende der Fahnenstange. Mit dem Rasenmäher werden die Ressorts gekürzt. Warum soll da die Bundeswehr ausgenommen werden?

Zweifellos handelt es sich bei der Bundeswehr traditionell um einen zur Ineffizienz neigenden Apparat. Insbesondere bei der Verwaltung, der Unterhaltung von Liegenschaften, der Lagerung, Beschaffung und Instandhaltung von Material sind Sparmöglichkeiten vorhanden.

Nur: Die Bundeswehr und mit ihr der Verteidigungshaushalt hat den bislang größten Beitrag zur Reduzierung öffentlicher Ausgaben geleistet. Während andere Haushalte seit der Wiedervereinigung 1990 explodiert sind, wurde der Verteidigungshaushalt in der Relation zum Gesamtetat halbiert!

Zudem hat nach der Wiedervereinigung und dem Ende der DDR eine gigantische Abrüstung in Deutschland stattgefunden. Innerhalb von fünf Jahren wurde die Personalstärke der deutschen Armeen, die zu diesem Zeitpunkt 588.000 Mann betrug (davon 98.000 seitens der NVA) auf 1994 370.000 Mann fast halbiert. Bis Ende 1993 wurden alleine 470 Millionen Mark aufgewendet, um NVA-Munition zu vernichten. 2.300 Kampfpanzer, 9.000 gepanzerte Kampf- und Spezialfahrzeuge, 5.000 Artillerie-, Raketen- und Flugabwehrsysteme, 700 Kampf- und Transportflugzeuge sowie Hubschrauber, 192 Kriegsschiffe und Marinefahrzeuge, 85.000 LKWs, 1,2 Millionen Handfeuerwaffen und 295.000 Tonnen Munition wurden verwertet, vernichtet und entsorgt. Die Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie haben sich auf 140.000 halbiert.

Tatsächlich müßte Deutschland über neue Ausgaben für Sicherheitspolitik nachdenken. Voraussetzung ist aber, daß eine Idee der Selbstbehauptung existiert. Und die ist offenbar nicht vorhanden. Auch nach dem effektvollen Anteil der Bundeswehr am Kosovoeinsatz ist das Verständnis für den Sinn nationaler Verteidigung bei der politischen Klasse nicht gestiegen. Statt dessen fordert ein Redakteur der Tageszeitung Die Welt sogar eine "Abschaffung der Bundeswehr". Die Armee sei ein "Selbstvergewisserungsorgan des Nationalstaats" meint er, eines der "letzten Refugien in einer diffusen Welt". Alle stellten sich im Zuge des Euro mit Begeisterung der Europäisierung. "Es wird Zeit, daß die Sicherheitspolitik dem folgt und dem Euro die Euro-Wehr zur Seite stellt."

Die Handlungsfähigkeit europäischer Armeen ohne Intervention der USA ist ein löblicher Wunsch. Wenn aber im Kern dieses Europas ein Land liegt, das seine verteidigungspolitische Verantwortung an der Brüsseler Garderobe abgibt, dann wird dies nicht funktionieren. Deutsches Gerede von einer Europäisierung der Sicherheitspolitik entpuppt sich in aller Regel als zweierlei: Feigheit vor der politischen Verantwortung und der Trugschluß, über Europa könne man die Kosten der Verteidigung auf die militärischen Führungsnationen Frankreich und Großbritannien abwälzen.

Wie überlebensnotwendig Ausgaben für die nationale Sicherheit sind, machen zahlreiche Berichte über rücksichtlose Wirtschaftsspionage westlicher "Partner", insbesondere der USA, gegen Deutschland deutlich. Deutschland braucht eigene Aufklärungssatelliten, braucht eine effektivere Abwehr- und Auslandsspionage. Europäische Partnerschaft hin oder her – jeder bleibt sich hier auch weiterhin selbst der nächste. Erst diese Woche bekräftigten die Sprecher der britischen und französischen Verteidigungsministerien, daß sie an einer gemeinsamen Verteidigungspolitik nicht interessiert sind, die über den gegenwärtigen Status hinausreicht. Zu durchsichtig erscheinen den anderen Ländern die Bemühungen der deutschen Regierung, Verantwortung und finanzielle Lasten für die Verteidigung in Brüssel zu entsorgen.

Die jetzt unter dem Druck von Schröder geplanten Einsparungen bedeuten eine Reduzierung der Truppenstärke von 330.000 auf 260.000 Soldaten, Verkürzung des Wehrdienstes von zehn auf fünf Monate, sowie die grundlegende Umstrukturierung der Bundeswehr bis zur völligen Abschaffung der Wehrpflicht.

Deutschland wird so nicht in der Lage sein, zu einem stabilen Faktor einer vielbeschworenen "europäischen Sicherheitsarchitektur" zu werden. Die Voraussetzung für europäische Verteidigungsbereitschaft ist nationaler Selbstbehauptungswille.


 
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