© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Türkei: Ein Beitritt der Vorderasiaten zur EU bringt Probleme und Nachteile für Deutschland
Eigene Mentalität akzeptieren"
Karl-Peter Gerigk

Herr Burmeister, Außenminister Joschka Fischer hat der Türkei die Mitgliedschaft in der EU als 12. Aspirant in Aussicht gestellt. Gibt es für Deutschland und Europa Vorteile einer EU-Mitgliedschaft der Türken?

Burmeister: Vorteile kann ich nicht erkennen, im Gegenteil, auf dem politischen und wirtschaftlichen Feld sehe ich nur Nachteile. Der Auswanderungsdruck nach Deutschland ist riesengroß, und das, obwohl die türkischen Medien sehr häufig ein verzerrtes und wenig sympathisches Deutschlandbild verbreiten. Ein EU-Beitritt müßte zwangsläufig für die Türken mit Einschränkungen in ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union gekoppelt sein. Das liefe der demographischen Entwicklung im Lande, verbunden mit einer explosionsartigen Bevölkerungsvermehrung entgegen und würde die Türken tief in ihrem Selbstverständnis treffen, was die nächsten Spannungen auslösen würde. Im übrigen: Wenn um die Jahrhundertwende die tatkräftigsten aus deutschland als Auswanderer in Übersee eine neue Existenz suchten, ist es heute für Deutschland als De-facto-Einwanderungsland genau das Gegenteil.

Was bedeutet dies für die deutsche Wirtschaft und den deutschen Arbeitsmarkt?

Burmeister: Sie wissen, wie sprunghaft der Ausländeranteil bei den Sozialhilfeempfängern wächst. Dies wird sich verstärkt fortsetzen, auch wegen des neuen Staatsbürgerschaftsrechts ab 1. Januar 2000, was die Familienzusammenführung nochmals erleichtert. Gleichzeitig will die jetzige Regierung Sozialleistungen abbauen. Das widerspricht sich. Fast unvorstellbar: ein High-Tech-Land wie Deutschland holt sich weit über den eigenen Bedarf ungelernte und schlecht ausgebildete Arbeitskräfte ins Land, verspricht dem Agrarland Türkei gleichzeitig Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft und kann jetzt schon nur zu Lasten der deutschen Bauern die EU-Osterweiterung in den Griff bekommen.

Gibt es denn sicherheitspolitische Vorteile durch einen Beitritt der Türken in die EU?

Burmeister: Der Sicherheitsbedarf ist da, und nach dem Zerfall der Sowjetunion ist alles in diesem Raum noch viel unsicher und schwieriger geworden, gerade was den südlichen Gürtel der ehemaligen SU bis zur chinesischen Mauer anbetrifft. Dies ist eine vornehmlich islamische Bevölkerung. Es besteht ein großes Interesse, die Türkei in der Nato zu halten. Für die USA ist es leicht zu sagen: "Türken – geht mal in die EU". Die Zeche zahlt die EU, das heißt der EU-Bürger und Steuerzahler, und nicht die Amerikaner.

Griechen und Türken sind Nato-Partner und liegen dennoch im Zwist. Werden die Vereinigten Staaten Griechenland weiter unter Druck setzen oder werden die Griechen ihrerseits mit einem "Veto" den EU-Betritt der Türken zu verhindern suchen?

Burmeister: Bekanntlich blockieren die Griechen mit ihrem Veto in der EU die Auszahlung von Geldern an die Türkei, mit denen ihre Wirtschaft für einen Beitritt fit gemacht werde soll. In der Agenda 2000 steht explizit, daß die Türkei kein Beitrittsland sein soll. Ich verstehe nicht, wie Herr Fischer ohne Absprache mit den anderen EU-Partnern den Türken solch eine Hoffnung machen kann. Ich finde es fast unfair, den Türken immer diesen Wurstzipfel vor den Nase zu halten, nach dem Motto: "Springt mal danach, erreichen werdet ihr ihn sowieso nicht."

Kann sich denn die EU und Deutschland den Interessen der USA widersetzen?

Burmeister: Meine Prognose ist, daß die EU stark genug sein wird, sich gegenüber anderen Interessen durchzusetzten. Die EU muß sich mit dem Wirtschaftsraum von Nordamerika vergleichen. Sich hier ohne Not eine Schwäche einzuhandeln wäre dumm. Ich hoffe, daß es der neuen Ratspräsidentschaft gelingt, hier wirklich die Interessen Europas zu vertreten. Und dann sind nach den Finnen ja die Franzosen an der Reihe.

Fischer hat die Menschenrechts- und Kurdenfrage angesprochen. Existiert im Auswärtigen Amt ein Junktim zwischen türkischen EU-Beitritt und Einhaltung der Menschenrechte in Ankara bzw. der Lösung der Kurdenfrage?

Burmeister: Wie nachdrücklich Fischer das getan hat, weiß ich nicht. Auffällig ist, daß er sich nicht von der Expertin für Türkei- und Menschenrechtsfragen, Claudia Roth, hat begleiten lassen, übrigens eine Freundin der inhaftierten Leyla Zana. Ich kann durch eigenes Ansehen sagen, daß es hier ein großes Defizit gibt, das für unsere europäische Wertegemeinschaft nicht hinnehmbar ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß gerade ein grüner Minister dieses außer acht lassen will.

Der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wie auch der Europarat lehnen gerade auch mit Bezug auf den Fall Öcalan die Todesstrafe ab. Wird Ecevit seinen harten Kurs gegen die Kurden mit Blick auf eine EU-Option ändern?

Burmeister: Ich hoffe, daß Europa soviel Einfluß auf Ecevit ausübt. Möglicherweise wirkt sich hier das Versprechen von Außenminister Fischer indirekt positiv auf das weitere Schicksal von Öcalan aus. Aber ich habe hier auch Zweifel. Ecevit steht unter Druck. Die veröffentlichte Meinung in der Türkei hat Öcalan als Kinderfresser und Babymörder dargestellt. Ihm, Öcalan, wurden die 30.000 Toten des Kurdenkonfliktes alleine angelastet, was falsch ist. Auch muß Ecevit auf seine Koalition, in der die chauvinistische MHP ist, achten. Diese träumt von einer Turkbewegung und ist nicht für Europa.

Nun interessieren sich die Türken für deutsche Waffen. Bei Kraus-Maffei soll eine Anfrage für den Leopard 2 liegen. Kann sich Deutschland leisten, die Türken bei ihrem Vorgehen gegen die Kurden auf diese Weise zu unterstützen?

Burmeister: 1000 Leopard sind für unsere Industrie ein verlockendes Angebot. Dennoch, das Auswärtige Amt und der grüne Pazifist Joschka Fischer können es sich schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht leisten, einerseits den Umgang mit Minderheiten und Menschenrechten in der Türkei zu beklagen, andererseits die Voraussetzungen für weitere Militäraktionen gegen die Türkei zu schaffen, wo auch immer, in Südanatolien oder im Nordirak. Bei der Vergabe von militärischer Ausrüstungshilfe an die Türkei wurde von Deutschland immer darauf geachtet, daß eine Ausgewogenheit mit Griechenland hergestellt wird. Dieser Gesichtspunkt könnte auch beim Leopard-Verkauf eine Rolle spielen. Da das von Deutschland bisher an die Türkei gelieferte Kriegsgerät nachweislich gegen die Kurden eingesetzt wird – den Einsatz des ehemaligen NVA-Schützenpanzers BTR 60 habe ich selbst gesehen – wird ein Leopard-Panzer hier auch zum Einsatz kommen, wo denn sonst. Die Nato-Regularien, wonach auch von Deutschland kommendes Kriegsgerät nur bei einer Bedrohung der Nato-Außengrenzen eingesetzt werden darf, akzeptieren die Türken nicht. Sie sagen dann, der äußere Feind sitzt bereits im Inneren des Landes.

Man hört von einer Zusammenarbeit des türkischen mit dem israelischen Geheimdienst, gerade bei der Bekämpfung der PKK. Kann auch der aktuelle Fall des "Cevat Soysal " vor diesem Hintergrund gesehen werden und muß das nicht zu diplomatischen Verwicklungen führen – er war ja in Deutschland als Asylbewerber anerkannt.

Burmeister: Die militärische Zusammenarbeit beider Länder ist pressebekannt. Zur Zusammenarbeit der Geheimdienste kann ich nichts sagen. Die Mitwirkung des Mossad bei der Verhaftung Öcalans wurde ja dementiert. Richtig ist allerdings auch, daß die Dienste beider Länder Exekutivgewalt haben, für Deutschlands Auslandsnachrichtendienst unvorstellbar. Sie haben recht mit den von Ihnen befürchteten diplomatischen Verwicklungen durch Paßwechsler und Doppelpaßler. Soysal bildet hier nur die Spitze des Eisberges. Es werden sich in der Südtürkei Inseln von zigtausend Menschen bilden, die auch deutsche Staatsbürger sind, mit allen Konsequenzen im Rechts- und Kosularwesen. Sie werden diese Menschen nicht wieder finden oder kontrollieren können, wie in Deutschland. Ich habe in der Türkei zweimal den Versuch einer Volkszählung mitgemacht, ohne Ergebnis. Sie werden nach dem neuen Staatsbürgerrecht den Fall haben, daß Kurden als deutsche Staatsbürger gegen Türken kämpfen oder Türken mit deutschen Paß gegen Kurden.

Cem Özdemir hält das "Gerede" vom christlichen Europa für überholt. Soll es für Europa mit der Türkei keinen einheitlichen christlichen Wertemaßstab mehr geben?

Burmeister: Özdemir träumt wohl davon, daß die Türkei in diesen Wertemaßstab mit hineingezogen wird. Es ist eigentlich klar, daß unsere Kultur und unser Wertemaßstab eng mit dem Christentum verbunden ist, wie diese bei den Türken mit dem Islam der Fall ist. Viele reden von der multikulturellen, multireligösen und multiethnischen Gesellschaft und meinen Döner Kebap und Bauchtanz. Wesentlich ist aber auch die Definition von abstrakten Begriffen in den Kulturen wie zum Beispiel: Ehre, Stolz, Freundschaft, Parterschaft, Gewaltfreiheit oder die Bereitschaft dauzu, Leben, Tod.

Also keine Zwangs-Europäisierung?

Burmeister: Nein, am europäischen oder deutschen Wesen muß nicht jeder genesen. Akzeptieren wir traditions- und mentalitätsbedingte Andersartigkeit und lernen wir auch aus unserer jüngsten europäische Geschichte, was die gescheiterten Mischungsversuche von Ethnien, Kulturen und Religionen angeht.

 

Jelto Burmeister Jahrgang 1938, trat nach dem Abitur in die Bundeswehr ein. 1961 wurde er zum Leutnant befördert und anschließend in Norddeutschland in der 11. und 6. Panzerdivision in leitenden Funktionen der Truppe und innerhalb des Stabes eingesetzt. Einer Beförderung zum Oberst im Jahr 1982 folgten Funktionen bei der Nato. Seine besonderen Kenntnisse der Lage in der Türkei erwarb er als Militärattaché in Ankara von 1990 bis 1994.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen