© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Gesine Schwan
Zweite Wahl
von Philip Bern

Die Achse Polen – Frankreich ist für die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder "wesentlich". Man legt Wert auf Internationalität und betreibt rege Partnerschaften auch über die europäischen Grenzen hinaus. Universitäten in den USA, Rußland, Australien oder Südafrika dürfen sich zum Freundeskreis dieser brandenburgischen Bildungsstätte zählen, was dann bei Personalentscheidungen natürlich verpflichtet.

Und so wird ab dem 1.Oktober dieses Jahres Gesine Schwan als neue Präsidentin die Leitung über den 3.000 Studenten zählenden Studienbetrieb übernehmen.

Dreißig Nationen verteilen sich an dieser östlichsten der deutschen Hochschulen auf drei Fakultäten, wobei ein Drittel aller Studierenden polnisch ist. Gesine Schwan war zuvor im Juni bei der Wahl um das gleiche Amt an der Berliner FU gescheitert, und auch Frankfurt liebäugelte zuerst mit jemand anderem. Doch die ehemalige Bundestagspräsidentin und Hochschulprofessorin Rita Süssmuth lehnte nach längerer Bedenkzeit ab, übrig blieb Gesine Schwan. Zweite Wahl!

Die Berlinerin, 1943 geboren, besuchte bis zu ihrem Abitur das dortige Französische Gymnasium. An den Hochschulorten Freiburg und Berlin studierte sie Politikwissenschaften und promovierte 1970 zum Dr. phil. Nach dem Studium war sie als Assistenzprofessorin tätig und ist seit 1977 Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen bei der SPD-Politikerin bei Demokratietheorien, Sozialismustheorien und Fragen des Marxismus.

Als Mitglied der SPD-Grundwertekommission wirkte sie ab 1977 an der Ausarbeitung von Grundsatzpapieren mit, sieben Jahre lang. Dann kam der Bruch. Mitte der achtziger Jahre übte sie Kritik an der Art und Weise, wie die SPD mit kommunistischen Regimen umzugehen pflegte. Auch Willy Brandt stand in ihrem Schußfeld, da er ihrer Meinung nach nicht dem damaligen Trend entgegentrat, den Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur als reine Theorie zu bagatellisieren. Sie mußte gehen – im September 1984 wurde sie aus der Grundwertekommission der Partei abgewählt. Ein bis dahin einmaliger Vorgang in der SPD-Parteigeschichte.

Doch Gesine Schwan blieb hartnäckig und meldete sich in Fragen kommunistischer Regime immer wieder zu Wort. Freiheit und Menschenrechte sollten bei diesen Diskursen nicht ausgeschlossen werden. "Politik und Schuld" heißt somit auch eines ihrer Bücher, das an Aktualität auch nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs sicherlich nichts eingebüßt hat. Seit 1996 ist Gesine Schwan wieder Mitglied jener Grundwertekommission, der sie einst angehört hat. Ob man angesichts dieser Rehabilitierung und der Frankfurter Ernennung nun von einem Happy-End sprechen kann, bleibt abzuwarten.


 
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