© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


SPD: In der Wirtschaftspolitik will Schröder die Genossen auf Blair-Kurs bringen
"Wir werden so weitermachen"
Karl-Peter Gerigk

Nicht erst seit dem Schröder/Blair-Papier ist es offenkundig. Schon vor seinem Wahlsieg ließ sich Gerhard Schröder gern mit den Spitzen der deutschen Industrie abbilden, denkt man nur an das wirksame Bild Schröders beim Wiener Opernball mit VW-Vorstand Ferdinand Piech. Das Bündnis für Arbeit scheint ganz im Sinne der Konzerne gestaltet zu werden, welche betonen, Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen zu wollen. Daran will sich Schröder messen lassen. Und er könne hier auch Erfolge aufweisen, sagt er. Die Arbeitlosenquote liege in den vergangenen drei Monaten unter vier Millionen, und über hunderttausend Jugendliche seien neu in Arbeit und Ausbildung. So will er weitermachen, meinte er in einem ZDF-Interview mit "Berlin Direkt". Hierin kennzeichnete er seinen Kurs als eine Politik der Mischung zwischen Modernität und sozialer Gerechtigkeit, und das Papier von ihm und Tony Blair bilde jetzt schon die Grundlage für eine Diskussion in der Sozialdemokratie – und das europaweit.

Nicht zuletzt aber der neue Jahreswirtschaftsbericht des parteilosen Wirtschaftsministers und langjährigen Berater Schröders in Fragen der Energiewirtschaft, Werner Müller, kennzeichnet den Einbruch wirtschaftsliberaler Ideen in die Sozialdemokratie. Schon vor beinahe zwanzig Jahren sind diese in den Reihen der FDP konzipiert worden und in den Wirtschaftspapieren des liberalen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff bereits vor der Wende von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl nachzulesen. Nichts Neues also von Müller. Doch für die "Sozis" ist das revolutionär!

In dem jetzt veröffentlichten 58seitigen, als Farbbroschüre gehaltenen Bericht von Minister Müller, der erstmals 1999, aber künftig jedes Jahr die Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik der Regierung verdeutlichen soll, wird ganz im Sinne traditioneller wirtschaftsliberaler Positionen der Umbau der Sozialsysteme und mehr Eigenverantwortung der Bürger gefordert. Es hagelt Kritik von der Opposition und den Gewerkschaften. Die sozialdemokratischen Wähler scheinen verprellt.

Im Meinungsbild der Bevölkerung verliert sowohl Schröder als auch die rot-grüne Regierungskoalition weiter an Zustimmung. Wäre am Sonntag Bundestagwahl, so hätten FDP und Christdemokraten eine Mehrheit und könnten die Bundesregierung ablösen – und dies obwohl die SPD zunehmend eine "Politik der Mitte" betreibt. Unterdessen beteuert der Mann aus dem Lande mit dem weißen Roß im Wappen, daß es keine Änderung der Wirtschaftspolitik bei den Sozialdemokraten gäbe. Die Einschränkungen bei Renten, die Einschnitte bei der Bundeswehr, die Steuererhöhungen für Bauern und bei Benzin, dies sei alles notwendig wegen der Kassenlage. Die aber sei Ergebnis von 16 Jahren Kohl-Wirtschaft. Schröder und die Sozialdemokraten wollten es nun besser machen.

Kritik von Gewerkschaften und den Sozialverbänden

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller verteidigt seinen Wirtschaftsbericht gegen die heftige Kritik der Sozialverbände und Gewerkschaften. Es gäbe keinen Abstand zur bisherigen Politik. Die Bundesregierung würde keinen Kurswechsel vornehmen, sondern sei schon mit entsprechenden Vorstellungen angetreten, so Müller bei der Vorstellung seines Plans. Der Dissens mit den Gewerkschaften sei konstruiert. Die Sozialverbände kritisieren jedoch die Äußerungen Müllers, daß Bürger wie Unternehmen die Ansprüche an den Staat zurückschrauben müsse. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) bescheinigt Müller hier "gefährliche Realitätsferne". Dieser beteuert, daß die desolate Finanzlage die Politiker zum Handeln zwinge. Ziel der Regierungspolitik sei es, die Kaufkraft der Bürger zu stärken: "Das Portemonnaie der Bürger muß dicker werden", meint Müller. Darum wolle der Staat die Lohnzuwächse der Arbeitnehmer nicht mehr sofort durch Steuererhöhungen abschöpfen.

Dieses Ziel müsse auch bei den Tarifgesprächen berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt stehe hierbei die Unabhängigkeit der Tarifpartner, die sich jedoch an dem Fortschritt der Produktivität der Unternehmen orientieren sollten. Die Sparsamkeit des Staates habe Vorrang, und so müsse der Bürger auch bei seiner Vorsorge für das Alter schon heute in die Verantwortung genommen werden. Walter Riesters Politik und die des Wirtschaftsministeriums liefen in dieselbe Richtung. Ist dies nun bessere Marktwirtschaft als bisher oder nur Rotkohl-Wirtschaft?

Der Haushaltsexperte der Grünen, Oswald Metzger, sagte im Deutschlandfunk, daß die Thesen von Müller "in ihrer Schlichtheit" richtig seien. Auch das grüne Fraktionsmitglied Magareta Wolf erklärte, ihre Partei unterstütze die politische Orientierung des Wirtschaftsberichtes. Damit sind auch die Grünen auf "liberalem" Spar-Kurs. Noch vor der Wahl hatte die jetzige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die Erhöhung zum Beispiel des Sozialhilfesatzes auf netto 800 Mark gefordert, – etwas was die Kassenlage heute nicht mehr zulasse. Die Sachzwänge bestimmen augenscheinlich auch die sozialökologische Ideologie.

Industrie, Handel und Handwerk sehen in Müllers Konzeptionen im Grunde auch Gutes für sich. Industrieverbandspräsident Hans-Olaf Henkel erblickt in dem Papier die Konkretisierung des Schröder/Blair-Konzepts. Ansätze zu einer Änderung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sieht auch Arbeitgeberpräsident Hundt, auch wenn die vergangege Politik im krassen Gegensatz zur den jetzigen Überlegungen der Regierung stehe. Skeptisch bleibt der Mittelstand. Auch wenn das Handwerk Müller bei der Umsetzung des Konzepts unterstützen will, so der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Dieter Philipp, so beklagt er auch die Belastungen der kleinen und mittelständisch Unternehmen durch die Politik der ersten Zeit von Rot-Grün. Allein die Wiederherstellung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall koste das Handwerk 1,3 Milliarden Mark. Die Erhöhung der Ökosteuer, die Neuregelungen für das 630-Mark-Gesetz und für die Scheinselbständigkeit behindere die Arbeit des Handwerks und koste Arbeitsplätze. Die Unternehmensteuerreform müsse die kleinen und mittelständischen Unternehmen deutlich entlasten.

Liberale Ausrichtung folgt politischem Sachverstand

Wenn die liberale Ausrichtung des parteilosen Müller, strikte Sparmaßnahmen durch Eichel und Selbstverantwortungsparolen von Riester nahe legen, daß die SPD zunehmend traditionelle Positionen von Wirtschaftsliberalen übernimmt, so sind auch die Berufungen des Grafen Lambsdorff zum Beauftragen für Entschädigungsfragen der Bundesregierung und die von Leisler-Kiep für außenpolitische Koordination eher Ausdruck kluger Personalpolitik und entspringen der Einsicht Schröders in Sachgegebenheiten, als daß sie eine ideologische Umorientierung der SPD darstellen. Die Idee bleibt nach Schröders Worten, zumindest zum Teil, eine Nachfrageorientierung. Die nachfrageorientierte Politik betrachtet aber eher den Konsumenten als den Wähler, und dieser orientiert sich in der Tat zuerst an seinem individuellen Nutzen, an Preisen und Kosten. Ideen und Ideologie rücken in den Hintergrund. Schröder will das Stimmungstief bis zu den Landtagswahlen nach der Sommerpause durch "harte Arbeit" überwinden, so in "Berlin Direkt" und die Linie seines Sparministers Hans Eichel durchhalten, denn sein Ziel, der ausgeglichene Haushalt, sei richtig. Auch die Basis der SPD folgt Schröders Modernirsierungskurs aus Eigeninteresse weiter, wenn die Wahlergebnisse im Herbst stimmen.


 
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