© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Italien: Die Lega Nord steht vor einer Richtungsentscheidung
Von Existenzkrisen geschüttelt
Jakob Kaufmann

Gleich zwei Schläge mußte Italiens Mitte-links-Regierung innerhalb von zwei Wochen einstecken. Bei den Europawahlen vor sechs Wochen hängte Silvio Berlusconis rechtsliberale Forza Italia die Linksdemokraten von Ministerpräsident Massino D’Alema um satte acht Prozentpunkte ab – und seit den Bürgermeisterstichwahlen vom 27. Juni hat Bologna erstmals eine bürgerliche Mehrheit. Nach 54 Jahren ununterbrochener kommunistischer Vorherrschaft gehört das "rote Bologna" der Vergangenheit an. Dieses Ereignis löste in der italienischen Linken ein Erdbeben aus.

Die Hauptstadt der Emilia-Romagna galt seit Kriegsende als "linkes Bollwerk" und Zentrum der roten Regionen. Mit 28 von 48 Sitzen gewann aber das Mitte-rechts-Bündnis am 13. Juni eine eindeutige Mehrheit im Stadtparlament. Nachdem die Bürgermeisterkandidatin der Linken, Silvia Bartolini, mit 46 Prozent im ersten Durchgang nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt hatte und man bei der Stichwahl auf sechs Prozent altkommunistische Stimmen zählen konnte, wähnte man zumindest das Amt des Stadtoberhauptes in Sicherheit.

Am Tag nach dem zweiten Wahlgang schien ganz Bologna den Atem anzuhalten: Der Forza-Italia-Vertreter Giorgio Guazzaloca hatte das bisher für unmöglich Gehaltene mit 50,7 Prozent Wirklichkeit werden lassen. Der Vorsitzende der Bologneser Kaufleutevereinigung brachte das letzte rote "Heiligtum" zum Einsturz. Alle Parteigremien der reformkommunistischen Linksdemokraten traten auf Gemeinde- und Provinzebene zurück. Wo die einstige Kommunistische Partei satte absolute Mehrheiten sorglos erreichte, kam ihre Nachfolgepartei gerade noch auf 25 Prozent der Stimmen.

Bologna, "la rossa", ist die Geburtsstadt von gleich drei italienischen Parteivorsitzenden: dem designierten Vorsitzenden der EU-Kommission und ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten, Romano Prodi, dem Vorsitzenden der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, sowie von Pier Ferdinando Casini, Vorsitzender des Christdemokratischen Zentrums, der dritten Kraft im Mitte-rechts-Bündnis.

Für Fini ist nach dem erfolgreichen "Sturm" auf das rote Aushängeschild Italiens "alles denkbar". Silvio Berlusconi, durch diese Wahlgänge als unumstrittener Oppositionsführer bestätigt, erklärte, daß nun "der lange Marsch" zur Rückkehr an die Regierung begonnen habe.

In der Lega Nord ist jetzt der Richtungskampf in voller Stärke entbrannt. Die Nummer zwei der Lega, der ehemalige italienische Innenminister Roberto Maroni, gibt zu verstehen, daß sich die Lega nun nolens volens dem Bipolarismus fügen müsse und damit gezwungen sei, vor den Wahlen ein klares Bündnis mit einem der beiden großen Parteiblöcke einzugehen. Maroni und der parteintern einflußreiche ehemalige Mailänder Bürgermeister Marco Formentini sind bekannt für unklare Positionierungen mit gleichzeitgen Alleingängen. Ihre Vereinbarungen mit rechts und mit links deuten jedoch darauf hin, daß sie einem Bündnis mit der Linken den Vorzug geben würden.

Dem steht vor allem die venezianische Lega entgegen. Sie sieht sich durch die Wahlerfolge in Piemont bestätigt. Dort gelang es lokalen Bündnisses der Lega mit der Rechten, den Linken fünf von acht traditionell roten Provinzen abzujagen. In dieselbe Richtung ging auch ein erster Appell Berlusconis. Die Wahlen hätten gezeigt, daß die Lega nur dort siegreich sei, wo sie sich mit der Rechten verbündete, hingegen überall verliere, wo sie im Alleingang oder in einem Bündnis mit der Linken antrete.

Die wirtschaftsstarken und bevölkerungsreichen Regionen Norditaliens, die in den letzten Jahren durch die Dominanz der Lega gesamtstaatlich zwischen den beiden großen Parteibündnissen als "neutralisiert" galten, befinden sich seit Juni fest in bürgerlicher Hand. Bossi verabschiedete sich einstweilen wortkarg in den Sommerurlaub und äußerte zum Wahlausgang nur kryptisch, das Land habe "Lust auf rechts". Er muß für den Bundesparteitag im Herbst eine neue Strategie präsentieren, will er die von Existenzkrisen geschüttelte Partei als politische Kraft erhalten und die Föderalisierung des Landes vorantreiben.

Die treuesten Stammwähler der Lega, rund 18 Prozent der Norditaliener, sind meist separatistischer gesinnt als die Parteiführung. Die notwendige Richtungsentscheidung für den Rechts- oder den Linksblock kann dabei ebenso zur Zerreißprobe führen wie das zwangsläufige Abrücken von separatistischen Positionen.


 
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