© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Verfassungsgericht segnet Kunstraub ab
Frank Philip

Das jüngste Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat alle Hoffnungen auf eine geregelte Rückgabe der von Soldaten der Roten Armee nach dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtswidrig geraubten Kulturgüter zerschlagen. Nach 1945 zogen von Stalin beauftragte Trophäenjäger durch deutsche Museen und Archive, raffte zwei Millionen Bücher, drei Kilometer Akten und fast eine Million Kunstgegenstände zusammen, darunter das legendäre Troja-Gold aus den Berliner Sammlungen, wertvolle Dürer-Blätter aus Bremen und Schlüsselwerke der Impressionisten.

Lange Jahre leugneten russische Stellen die Existenz geheimer Raubbestände, erst im November 1990 sagte Jelzin im deutsch-russischen Freundschaftsvertrag die Rückgabe der Beute zu. Allerdings bestand Moskau bei Verhandlungen stets auf einer "beidseitigen und gleichwertigen" Rückgabe. In einer fiktiven Rechnung stellten die Russen dann der Beutekunst die eigenen Schäden an Kulturgütern gegenüber und befanden, an eine Rückgabe sei nicht zu denken.

Die kommunistische Mehrheit der Duma im Verein mit den Rechtsextremisten erklärte das Raubgut per Gesetz vom 4. April 1997 zu Staatseigentum "unabhängig von den gegenwärtigen Eigentümern oder den Umständen, unter denen es akquiriert wurde". Die Haager Landkriegsordnung besagt allerdings ganz klar, daß "jede Beschlagnahmung von geschichtlichen Denkmälern oder Werken der Kunst und Kultur" untersagt ist und geahndet werden soll. Jelzin, um die Beziehungen zu Deutschland besorgt, legte zweimal sein Veto gegen das Duma-Gesetz ein, rief schließlich das Verfassungsgericht an. Dieses befand nun, daß "Aggressorstaaten keinen Anspruch auf Rückgabe ihrer Kulturgüter haben".

Das Urteil hat deutlich gemacht, daß Rußland noch nicht in gängigen Rechtsnormen zu denken gelernt hat. Verträge mit Rußland sind folglich mit Vorsicht zu genießen. Trotz seiner finanziellen Abhängigkeit vom Westen scheut es sich nicht, diesen zu düpieren, wenn es sich in seinem Nationalstolz gekränkt sieht. In solchen Fällen endet auch die Macht des Präsidenten und des Kreml.

Aller Schönrednerei der Bundesregierung zum Trotz handelt es sich bei dem jüngsten Urteil um eine höchstrichterliche Enteignung. Als Trostpflaster räumte das Gericht zwar die Möglichkeit ein, im Rahmen eines "freundschaftlichen Aktes" einzelne Kunstwerke rückzuerstatten. Es dürfte aber allen klar sein, daß Moskau sich jeden dieser "freundschaftlichen Akte" teuer bezahlen lassen wird.


 
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