© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Schleswig-Holstein: Parteien wollen das Bürgervotum gegen die Schreibreform zu Fall bringen
Alte Orthographie kein Nachteil
Jochen Arp

Die Rechtschreibreform, von der kaum noch jemand sagen kann, warum sie eigentlich einmal in die Wege geleitet worden ist, wird inzwischen von vielen Bürgern resignierend hingenommen. Vor allem jene, die nicht mehr eine Schule besuchen, sagen in ihrer übergroßen Mehrheit, daß sie weiterhin schreiben werden wie gewohnt. Doch Behörden, Nachrichtenagenturen, manche Zeitungen und Zeitschriften haben in der letzten Zeit auf die neue Orthografie umgestellt.

Im einzigen Bundesland, in dem es eine Intitiative geschafft hatte, die hohen Hürden für einen Volksentscheid zu nehmen, der dann auch für die Gegner der Reform erfolgreich verlief, in Schleswig-Holstein, haben von den drei beherrschenden Zeitungskonzernen die zwei kleineren, die Lübecker Nachrichten und die Kieler Nachrichten, ihre Orthografie umgestellt, während der größte, der sh-Zeitungsverlag mit dem Flensburger Tageblatt an der deutsch-dänischen Grenze, zahlreichen Kopfblättern überall im Land und der Norddeutschen Rundschau an der Peripherie Hamburgs, bei der alten Schreibweise bleibt.

Nun hat die Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform" damals den Volksentscheid gegen die Absicht der Landesregierung durchsetzen können, für die Schulen des Landes anzuordnen, nun sei nur noch neue Orthografie zu lehren. Was außerhalb der Schulgrenzen geschieht, dorthin konnte sie die Kompetenz der Volksentscheidung nicht ausdehnen. Ihre Hoffnung allerdings, die übrigen Bundesländer zu veranlassen, von der neuen Rechtschreibreform zugunsten der Einheitlichkeit abzulassen, weil ein Bundesland zumindestens im Schulbetrieb draußen vor bleibt, erfüllte sich nicht.

Bei der Vorbereitung des Volksentscheids, vor allem beim Sammeln der notwendigen Unterschriften, hatte sich der damalige schleswig-holsteinische Landesverband der CDU als energischer Unterstützer der Gegner der Rechtschreibreform erwiesen. Der Vorstand unter dem Vorsitz des als konservativ ebenso geschmähten wie gerühmten Peter Kurz Würzbach schickte damals seine Mitglieder, vor allem aber die Junge Union und den RCDS auf die Straße, um die Bürger zu überzeugen und Unterschriften zu sammeln – mit Erfolg.

Nun ist seit kurzem die CDU-Welt in Schleswig-Holstein auf den Kopf gestellt, nachdem der Karriere-Mann Volker Rühe zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Februar 2000 gekürt worden ist. Er hatte nichts eiligeres zu tun, als ohne Rücksicht auf die Mitglieder seiner Partei Würzbach und seine konservativen Gefolgsleute im Vorstand an die Wand zu drücken. Rühe, stets auf der Woge des Zeitgeistes schwimmend, hat dann auch im Handstreich die CDU-Landtagsfraktion dazu veranlaßt, ihre Haltung zur Rechtschreibreform um 180 Grad zu wenden: ab sofort hat die schleswig-holsteinische CDU auf Befehl von Rühe für die Rechtschreibreform zu sein, was der Landesverband schweigend hinnahm, während die Junge Union und der RCDS wenigstens heftig protestierten. Rühe war das egal.

Von einem Tag zum anderen übertraf die in der Opposition sitzende CDU die Regierungspartei SPD im Eifer, die neue Rechtschreibung einzuführen. Sie verlangte, umgehend ein Gesetz im Kieler Landtag einzubringen, das das Ergebnis des Volksentscheides aufheben solle, und das nach nicht einmal einem Jahr nach dem Votum der Bürger. Da mußte sogar die sozialdemokratische Bildungsministerin Ute Ersiek-Rave den Eifer der Renegaten bremsen. Sie wies auf die rechtliche Unsicherheit hin, denn es ist keineswegs ausgemacht, daß ein Landtag mit Mehrheit nach so kurzer Zeit das Ergebnis eines Volksentscheides kippen kann.

Würde ein solches Vorgehen Schule machen, dann sind alle Beteuerungen von Parteien, sie seien für mehr Mitwirkung der Bürger, leeres Stroh. Da könnten die Bürger sich entscheiden wie sie wollen; wenn es den Parteien nicht paßte, würden sie anschließend ein gegenteiliges Gesetz machen.

Dennoch planen die Parteien nach der parlamentarischen Sommerpause im September ein Gesetz zu verabschieden, das das Ergebnis des Volksentscheides ins Gegenteil verkehrt. Nunmehr soll an allen schleswig-holsteinischen Schulen, wenn es nach den Parteien geht, nach neuen Rechtschreibregeln unterrichtet werden.

Ob SPD, CDU, FDP und Grüne sowie die Partei der dänischen Minderheit damit durchkommen, ist fraglich. Die Initiatoren des damaligen Volksentscheides gegen die Rechtschreibreform überlegen, ob sie angesichts der Mißachtung des Volkswillens klagen wollen.

Die Rechtslage ist in der Tat wackelig. Einen Fingerzeig für die Einstellung des Bundesverfassungsgerichts könnte eine soeben gefällte Entscheidung der Karlsruher Richter von Ende Juli 1999 geben. Ein Elternpaar aus Elmshorn hatte einen Eilantrag gestellt, das Bundesverfassungsgericht möge entscheiden, an den Schulen solle die in den übrigen Bundesländern gelehrte Orthografie vermittelt werden, weil die Kinder des klagenden Ehepaares zur Zeit gravierende Nachteile in Kauf nehmen müßten, die Kinder würden durch die Vermittlung der alten Rechtschreibung "stark verunsichert".

Die Richter lehnten den Eilantrag ab; nach ihrer Auffassung entstehen den Kindern durch die Unterrichtung der in der alten Orthografie keine greifbaren Nachteile, weil die Unterschiede zwischen herkömmlicher und neuer Schreibweise außerordentlich gering seien.


 
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