© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Rätsel um Genscher: Wo sind die 500.000 Mark Preisgeld?
Vita mit Fragezeichen
Frank Philip

Die Bescheidenheit des Ex-Ministers ist erstaunlich: jeder andere, der eine schöne Auszeichnung, verbunden mit einem hohen Preisgeld erhält, möchte, daß alle Welt von dieser Ehrung erfährt. Nicht so Hans-Dietrich Genscher.

Anfang 1991 – einem Bericht der Deutschen Botschaft in Athen zufolge am 19. April 1991 – erhielt der damalige Außenminister für seine "Verdienste um die politische Aussöhnung mit ehemaligen sozialistischen Staaten" in Athen einen Preis. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr merkwürdigerweise davon nichts, denn das Protokoll des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung verlor kein Wort über die Sache.

So ist es auch zu erklären, daß in der deutschen Presse damals keine Zeile zu dem Ereignis stand. Publik wurde die Angelegenheit erst, als die Zeitung Der Schlesier im August 1993 ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 5. November 1991 veröffentlicht, worin dieses bestätigt, daß Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher einen Preis bekommen habe, aber gleichzeitig mitteilt, "eine Entscheidung darüber, wie das mit diesem Preis verbundene Geld eingesetzt wird, ist noch nicht gefallen". Welches Geld, wieviel? In dem Bericht wird eine Summe von 500.000 Mark genannt.

Die Verschwiegenheit des Ex-Ministers hat einen Grund: Laut Finanzministerium haben Mitglieder der Bundesregierung nach § 5 Abs. 3 des Bundesministergestzes über "alle Geschenke, die sie in Bezug auf ihr Amt erhalten, der Bundesregierung Mitteilung zu machen. Die Bundesregierung entscheidet über die Verwendung der Geschenke (...) In den meisten Fällen werden die Geschenke dem Bundesvermögen zugeführt." Im Fall Genscher ist der Verbleib der 500.000 Mark bis zum heutigen Tage ungeklärt, wenigstens kann oder möchte das Auswärtige Amt keine Auskunft geben. In Genschers Memoiren findet der warme Geldregen aus Athen keinerlei Erwähnung, obwohl er sonst keine Banalität ausläßt. Das persönliche Büro des ehemaligen Außenministers in Bonn bedauerte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, er sei gerade im Urlaub, ansonsten könne man keine Stellung nehmen.

Die Bescheidenheit und die Verschwiegenheit des Ex-Ministers zahlen sich aus: So möchte der Bundesrechnungshof den Hinweisen zwar nachgehen, doch die Ergebnisse seiner Prüfung werden nur der geprüften Stelle und den gesetzgebenden Organen zugeleitet (AZ: II 1 052035). "Eine Mitteilung an Dritte ist aus Rechtsgründen nicht möglich." Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, und der ehemalige Minister hat mächtige Freunde in den entscheidenden Gremien. Auffällig ist jedenfalls eine seltsame Scheu aller befragten Stellen, den Fall unter die Lupe zu nehmen. Das rätselhafte Verschwinden der 500.000 Mark fügt der Vita des Hans-Dietrich Genscher ein weiteres Fragezeichen hinzu.

Die Beweggründe seines plötzlichen Rücktritts am 27. April 1992 bleiben mysteriös. Nicht überzeugen vermögen dazu Genschers eigene Ausführungen in seinem Memoiren-Buch "Erinnerungen". Zu der Zeit, als er sich rein privat in Athen aufhielt, also Anfang 1991 trieben ihn offiziell Zweifel an der "politischen Glaubwürdigkeit der FDP" in der Koalition. Die Union war gestärkt aus der 1990er Bundestagswahl hervorgegangen und trat in die Koalitionsverhandlungen sehr selbstbewußt auf. Die FDP fühlte sich erpreßt, insbesondere in Fragen des "Aufbau Ost" gab es Differenzen. Genscher trägt sich auf einmal mit Rücktrittsgedanken.

Laut "Erinnerungen" wollte er diesen Schritt jedoch erst ein gutes Jahr später tun, nämlich genau am 18. Mai 1992. Der 18. Jahrestag seiner Ernennung zum Außenminister erschien ihm der richtige Termin. Warum er, der 1982 ohne mit der Wimper zu zucken das Lager wechselte, auf einmal wegen vergleichsweise harmloser Dinge seine Glaubwürdig in Gefahr sah, warum er trotz der angeblich so langen Vorbereitungszeit dann drei Wochen früher überstürzt zurücktrat, warum er seine Pläne geheim hielt und selbst das Kabinett und die "europäische Freunde" belog, für all dies findet Genscher keine plausible Erklärung. Der wichtige EG-Gipfel stand bevor, der Weltwirtschaftsgipfel in München, der KSZE-Gipfel, der Nato-Gipfel, und gerade da nimmt Genscher nach 23jähriger, ununterbrochener Ministertätigkeit seinen Hut?

Einem Fernsehreporter gegenüber sagte er in jenen Tagen auf die Frage, warum er gegangen sei: "Ich wollte nicht so lange warten, bis sie mich fragen, wann ich gehe." Vermutlich hätte sich die Frage nach dem "wann" und "warum" des Rücktritts erledigt, wäre damals schon bekannt gewesen, was das Nachrichtenmagazin Focus jüngst meldete: Das Kanzleramt und der Verfassungsschutz vertuschten jahrelang die Existenz eines Spions im engsten Umkreises des Außenministers. Ab 1988 häuften sich die Verdachtsmomente, daß vertrauliche Gespräche des Außenministers mit westlichen Amtskollegen, Pläne zu deutschen Einheit und Geheimkontakte nach Osteuropa dem Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit schnell und zuverlässig hinterbracht wurden.

Obwohl beim CIA und BND die Alarmglocken schrillten, begannen die Bonner nur zögerlich mit höchst dilettantischen Ermittlungen "im kleinsten Kreis". Die Bundesanwaltschaft erfuhr erst aus der Zeitung von dem brisanten Verdacht, und die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Bundestages wurde bewußt hintergangen. "Alle bangten um Genschers Ansehen, um die Reputation der Republik", schreibt Focus im Hinblick auf den "ernsten Verratsfall, der nach Ansicht von Experten noch fataler als die Durchstechereien des Kanzlerspions Guillaume gewesen sein könnte". Eckart Wertebach, heute Berliner Innensenator, war ab März 1991 als Chef des Verfassungsschutz an den Bemühungen zur Enttarnung des Spions beteiligt. Ihm gelang es, den Skandal zu verheimlichen.

In solchen Dingen hatte er schon gewisse Erfahrung gewonnen, als er im Auftrag Schäubles in den Wirren der Auflösung der DDR die Akten der Staatssicherheit nach belastendem Material über Bonner Politiker durchstöbern ließ. Dieses brachte er anschließend "in Sicherheit", schreibt Focus zweideutig. Vielleicht waren darunter auch Dossiers zu Hans-Dietrich Genscher und dessen teilweise nur schwer nachvollziehbare Verhandlungstaktik während der 2+4 Gespräche. Aber, wie meinte Richard von Weizäcker, der damalige Bundespräsident ganz gerührt: "Unser Außenminister war in unserer Welt die vertrauensbildende Maßnahme in Person." Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.


 
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