© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Sittlich neutral
von René Sotier

Losgetreten von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) findet gegenwärtig eine Diskussion über die Anerkennung der Prostitution als Beruf statt. Eine drohende Aufwertung derartiger Tätigkeiten mit fataler Signalwirkung an vornehmlich junge Menschen wird ignoriert. Trotzdem scheint das Bergmann’sche Vorhaben auch in Kreisen der Union Unterstützung zu finden. Der Vize-Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Hermann-Josef Arentz, schlägt in dieselbe Kerbe wie Frau Bergmann. Das Motiv dieser Forderung sei hierbei die soziale Absicherung Prostituierter.

Eine rechtliche Gleichstellung Prostituierter mit anderen Berufen führt zwingend dazu, daß Prostitutionsverträge nicht mehr nach Paragraph 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als sittenwidrig eingestuft werden können. Die Folge davon wären Ansprüche der "Kundschaft" auf Erfüllung der vertragsgemäßen Pflichten. Diese müßten konsequenterweise vollstreckbar sein. Soll denn dann etwa in Fällen "ungehöriger Erfüllung" der Gerichtsvollzieher Beihilfe zur Vollstreckung eines "Nachbesserungsanspruchs" leisten? Perverser Hirnriß als Ausfluß kurzsichtigster, politoportunistischer Betrachtungsweisen! Nun wäre es freilich denkbar, derartige Ansprüche als nicht vollstreckbare auszugestalten, was jedoch dazu führen würde, daß die Ansprüche der Prostituierten als deren Korrelat ebensowenig vollstreckbar sein dürften. Niemandem wäre demnach geholfen, gleichwohl wäre genanntes fatales Signal gegeben.

Das Problem liegt alleine darin, daß das Steuerrecht als sittlich neutral verstanden wird. Demnach unterliegt das Einkommen Prostituierter der Steuerpflicht. Auf der sozialversichungsrechtlichen Ebene gibt es in Ermangelung eines spezifischen Berufsbildes keine Möglichkeit der Versicherung. Hierdurch sehen sich Prostituierte nicht selten veranlaßt, falsche Angaben über ihre berufliche Tätigkeit zu machen. Tritt der Versicherungsfall ein, so kann sich die Versicherung ihrer vertraglichen Verpflichtungen entziehen, indem sie den Vertrag durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung rückwirkend beseitigt. Die gezahlten Beiträge werden nicht selten einbehalten, die Kosten des einstigen Versicherungsfalles werden sozialisiert.

Dieser das Gemeinwohl tangierende Mißstand ist leicht zu beseitigen – und zwar ohne die rechtliche Gleichstellung Prostituierter: Es müßte das Sozialversicherungsrecht als ebenfalls sittlich neutral angesehen werden. Dieser allgemeine Rechtsgedanke sollte geeignet sein, eine etwaige bürgerlich-rechtliche Nichtigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Kontext zu überwinden.


 
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