© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Parteien: Umweltverbände kritisieren Schwachstellen im grünen "Papierkrieg"
Auf dem Weg zur Beliebigkeit
Gerhard Quast

Die Kritik an der verfehlten Umweltpolitik der rot-grünen Bundesregierung im allgemeinen, und über das Versagen des kleinen Koalitionspartners im besonderen, ist unüberhörbar. Nicht zuletzt ein Offener Brief des NABU-Präsidenten Jochen Flasbarth machte dies kürzlich deutlich. "Die Ökobilanz dieser Regierung sieht nach den ersten zehn Monaten traurig aus", schrieb der Chef des 250.000 Mitglieder starken Verbandes an die Grünen. "Die Rücktrittsforderungen gegen Trittin lenken von einem viel tiefer liegenden Problem bei den Grünen ab und fallen auf die Gesamtpartei zurück: In der Umweltpolitik hat nicht Bundesumweltminister Trittin versagt, sondern die grüne Partei." Schließlich sei die Umweltpolitik längst dort angesiedelt, wo sie auch bei den anderen Parteien rangiere, als Fachthema für Fachpolitiker. "In der Realität ist die Forderung nach einer ökologischen Politik bei den Grünen zur Worthülse geworden." In den verschiedenen Diskussionspapieren werde zwar über den künftigen Weg der einstigen Ökopartei lamentiert, die Umweltpolitik als "zentrales grünes Politikfeld" tauche allerdings "lediglich am Rande" auf. Wenn die Grünen den Umweltschutz nicht mehr als Kernthema ansehen, "werden sie für Natur- und Umweltschützer belanglos", so Flasbarth. So sehr der NABU auf eine ökologische Wende gesetzt habe, so sehr sei nun eine Klärung des Verhältnisses zu den Grünen von entscheidender Bedeutung: "Eine Partei, die nach außen noch den Anspruch einer besonderen ‘Zuständigkeit’ für Umweltthemen erhebt, tatsächlich aber umweltpolitische Forderungen beliebig zur Disposition stellt oder durch unprofessionelle Arbeit erreichbare Umwelterfolge verstreichen läßt, schadet dem Umweltschutz mehr als sie nützt", so sein Fazit.

Dieses Warnsignal scheinen zumindest die Realos innerhalb der Ökofraktion verstanden zu haben. Mit einem Thesenpapier "zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik" (siehe Dokumentation) versuchten sie nun unübersehbare Schwachstellen der Diskussion um die Zukunft der Grünen zumindest für einen Teilbereich zu beseitigen.

Nach dem stromlinienförmigen Realopapier "Bündnis 90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient!", einer linken Antwort ("Raus aus der neuen Mitte!") und der Stellungnahme junger Grüner ("Wir sind noch lange nicht am Ende!") nun also eine Wortmeldung der Ökorealos. Und ein Ende des Papierkrieges ist längst nicht abzusehen.

Unterzeichnet ist das Papier von führenden Vertretern des realpolitischen Flügel: neben Reinhard Loske, dem umweltpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, und Gunda Röstel, Vorstandssprecherin, auch von Tom Koenigs, Umweltdezernent in Frankfurt am Main, Rainder Steenblock, Umweltminister von Schleswig-Holstein, und Wilfried Hermann, stellvertretender Vorsitzender des Umweltausschusses des Bundestages.

Inhaltlich bringt das Papier zwar nichts, was nicht schon in der einen oder anderen Weise geäußert wurde, das Signal, das die 21 Unterzeichner damit jedoch aussenden wollten, scheint zumindest teilweise bei den Adressaten angekommen zu sein: Das Thesenpapier zeige, "daß zumindest Teile der Grünen verstanden haben, daß es jetzt darum geht, ob ihre Partei zu einem Erfolgsfaktor oder einem Sicherheitsrisiko für die Umweltpolitik wird", meinte NABU-Bundesgeschäftsführer Gerd Billen in einem Gespräch mit der Frankfurt Rundschau. Besonders der Ansatz, "in Kooperation mit der Wirtschaft unterschiedliche Instrumente auszuloten", sei begrüßenswert. Weniger nachvollziehbar sei hingegen "die Euphorie", daß nun alle Probleme im Konsens mit der Wirtschaft gelöst werden könnten. "Gerade die Beispiele Atomausstieg und Verkehrspolitik zeigen, daß das nicht überall funktioniert." Vorerst sieht Billen in den Thesen allerdings nur eine "Willensbekundung": "Es ist viel Rhetorik in dem Papier, und es ist noch nicht auf die konkrete Ebene heruntergebrochen, die für uns wichtig ist."

Auch der Deutsche Naturschutzring (DNR) sieht in dem Papier "viele gute und richtige Ansätze", vermißt jedoch befriedigende Antworten auf die globale Wirtschaftsentwicklung. "Die Politik muß den Rahmen für die Entwicklung unserer Gesellschaft setzen und eine stärkere Beteiligung der Bürger auf allen Ebenen gewährleisten", kritisiert DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen. "Nur auf diese Weise läßt sich ein Gegengewicht zum Diktat von Gewinninteressen und Finanzmärkten schaffen."

Weit weniger zurückhaltend äußerte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), für den die Thesen wenig mit einer "Erneuerung", aber viel mit einem Verlust an Profil zu tun haben. Der Text weise den Weg "von der Vordenker- zur Mainstream-Partei", so Olaf Bandt. "Eine grüne Politik, die nur auf Kompromisse statt auf neue Impuse setzt, landet immer nur beim kleinsten gemeinsamen Nenner. Damit wird die ökologisch-soziale Wertedebatte verhindert, der sich die Gesellschaft stellen müßte."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen