© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


CD: Pop
Weltschmerz-Zitate
Holger Stürenburg

Nur äußerst selten tauchen neue Bands auf, die fernab jeglicher angesagter Trends einfach zeitlose Popmusik produzieren. Also keine Eintagsfliegen für die schnellebigen Hitparaden, sondern prägnante Melodien mit Sinn für Harmonie und Rhythmik, die auch noch in zehn oder zwanzig Jahren die gleiche betörende Wirkung auf den Hörer haben wie heute. Das ist bei dem aktuellen Werk der achtköpfigen britischen Band Belle & Sebastian der Fall.

Das heißt, so neu ist "Tigermilk", so der Titel der bei Virgin erschienenen Zehn-Lieder-CD, auch nicht. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Wiederveröffentlichung des einst nur in einer Auflage von 1.000 Stück auf Vinyl gepreßten Debütwerkes von Belle & Sebastian, das eigentlich nur als Abschlußarbeit eines universitären Musikkurses gedacht war. Anno 1996 hatte das "publikumscheue Genie" (Presseinfo) Stuart Murdoch an der Glasgower Stow University die Band Belle & Sebastian formiert, die bereits zwei Jahre später mit ihrem Album "The Boy with the Arab Strab" bis auf den zwölften Rang der britischen Hitparaden gelangen konnte. Zudem wurde "The Boy with..." von nahezu allen wichtigen Musikmagazinen – sowohl in der britischen Heimat der Band als auch hierzulande – in der Rubrik "Beste Alben 1998" aufgeführt.

Die engsten Fans von Belle & Sebastian hielten jedoch "Tigermilk" von jeher für die beste Platte ihrer Helden überhaupt. Somit machte Virgin Records nun ihnen und auch den seit "The Boy with ..." nachgewachsenen Neueinsteigern die Freude und veröffentlichte "Tigermilk" neu abgemischt erstmals auf CD.

Belle & Sebastian fabrizieren typisch britische Popmusik, ohne sich jedoch dem ach so modernen Brit-Pop anzubiedern. Viel mehr klingt ihre Musik wie jene (leider längst vergessene) Stilrichtung aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, die zwar nicht mehr New Wave war, aber längst noch nicht Brit-Pop.

Somit klingt "Tigermilk" tatsächlich über weite Strecken wie ein "Best of ’87 to ’90"-Hitsampler, aber Belle & Sebastian imitieren nicht etwa die Top 40 der ausgehenden Achtziger sondern zitieren nur die Creme de la Creme der damaligen Weltschmerz-Gitarrenpopper: Mal klingt ein Lied nach Morrissey in seinen depressivsten Tagen, ein anderes Mal leuchtet der wehmütige Spätsommer-Pop der Adventures (erinnere: "Send my Heart", 1985) neu auf; Lloyd Cole und seine Commotions lassen genauso grüßen wie der unerreichte Nicolas Currie alias "Momus". Und daß die Stimme der Cellistin Isobel Campbell ab und zu nach Tanita Tikaram klingt, soll hier nicht als negativ deklamiert werden, sondern zeigt, daß auch zehn Jahre später eine süßlich-weinerliche Frauenstimme die Gefühle der Freunde gehobener Popmusik romantisieren kann, ohne peinlich zu wirken.

Da die CD "Tigermilk" erst vor wenigen Tagen auf den Markt kam, dürfte es noch ein bißchen dauern, bis die breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam wird. Aber in den heißen Hochsommer passendie fragilen Popoden von Belle & Sebastian sowieso nicht!

Wenn jedoch die Tage bald wieder kürzer werden und schon mal die ersten Holzscheite in den Kamin geworfen werden, dann empfiehlt es sich, seinen CD-Spieler ruhig mal mit "Tigermilk" zu bestücken. Denn im tristen Herbst wirken die wohlig-warmen, meist hoffnungsvollen Gitarrenballaden von Belle & Sebastian am besten!


 
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