© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


DDR-Vergangenheit: PDS fordert Generalamnestie
"Täter belangen"
(JF)

Herr Bude, PDS-Chef Bisky fordert zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls eine Totalamnestie für Stasi-Spitzel. Er möchte einen Schlußstrich unter die Vorgänge in der ehemaligen DDR ziehen. Gegenüber der "Leipziger Zeitung" sprach er sich dafür aus, "die juristische und politische Strafverfolgung gegen ehemalige DDR-Bürger generell" zu beenden.

Bude: Amnestie ist ja nur möglich für Verurteilte. Die Erfahrungen mit der Aufdeckung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Nationalsozialismus zeigen, daß auch 50 Jahre danach immer noch die Möglichkeit gegeben sein muß, die Täter zu belangen. Es werden immer neue Fakten bekannt, neue Unterlagen tauchen auf. Die Debatte um einen "Schlußstrich" ist schon aus diesem Grunde völlig überflüssig. Herr Bisky sollte lieber alle Stasi-Spitzel, Denunzianten, Mauerschützen und übrigen Täter auffordern, sich bei den Opfern zu entschuldigen und ihr Fehlverhalten öffentlich zu bekennen und zu bedauern. Das wäre ein akzeptabler Schritt zur Aussöhnung.

Auffällig ist, wer dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit alles an den Kragen will: Reinhard Höppner möchte Gaucks Behörde "möglichst rasch" dem Bundesarchiv in Koblenz unterstellen, Manfred Stolpe findet das Fortbestehen der Behörde nicht selbstverständlich, und Harald Ringstorff will Forschung und Verwaltung trennen, um Gauck letztlich von den Akten zu entfernen.

Bude: Wer einer Koalition mit einer demokratischen Partei wie der CDU die Koalition mit der Fortsetzungspartei der SED-Verbrecher vorzieht, der hat sich disqualifiziert und auch entlarvt.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse meint, die Gauckbehörde müsse solange weiterbestehen, wie es ein Bedürfnis nach Akteneinsicht gibt.

Bude: Das Bedürfnis nach Akteneinsicht ist unwiderleglich da. Täglich gehen Hunderte von Anfragten ein bei den verschiedenen Dienststellen, eine erdrückende Menge.

Die Überprüfung des öffentlichen Dienstes kommt nicht voran, es gibt nur ein ganz geringes Interesse an der Entfernung der Täter aus dem Staatsdienst. Warum?

Bude: Gewisse Leute sagen, die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sollten nicht länger auf eine eventuelle Stasi-Mitarbeit überprüft werden. Das käme einer Freistellung gleich und würde die Verfolgung von Rechtsbrechern unmöglich machen. Ein Interesse daran kann nur der haben, in dessen Reihen Rechtsbrecher tätig sind, oder der sich aus dem Anhang dieser Leute Vorteile verspricht.

Die Linken hassen Gauck, weil er ein unablässiger Mahner gegen das Vergessen ist. Den ehemaligen DDR-Bürgern unterstellt er heute zehn Jahre nach dem Mauerfall eine "Furcht vor der Freiheit". Liegt hier mit ein Grund für das Erstarken der PDS?

Bude: Die Formulierung "Furcht vor der Freiheit" gefällt mir nicht. Ich würde eher sagen, die mangelnde Übung im Umgang mit der Freiheit, das ist ein Grund für das Mißbehagen vieler DDR-Bürger. Viele verklären die DDR wegen der vermeintlich größeren Sicherheit und Ordnung

Scheuen die ehemaligen DDR-Bürger wirklich die Konfrontation mit der Vergangenheit?

Bude: Menschen lassen sich im allgemeinen nur ungern an Ereignisse erinnern, wo sie eine gewisse Mitschuld oder eigene Mitverantwortung spüren. Das ist das eine. In der Tat haben manche auch etwas zu fürchten, wenn die Vergangenheit gründlich erforscht würde, wenn Schandtaten aufgedeckt würden. Es ist drittens eine ganz allgemeine, menschliche Erscheinung, das Unangenehme zu verdrängen. "Laßt mich doch in Ruhe!", denken wahrscheinlich viele, "wenden wir uns lieber der Zukunft zu". Wobei das vor allem auch die fordern, die die Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit zu scheuen haben. Da sehe ich eine Ablehnung, sich mit dem Unrecht zu beschäftigen.

Gauck nennt das ein "Ausweichen vor dem Heilungsprozeß".

Bude: Dem stimme ich uneingeschränkt zu.

Aber wie könnte es eine Aussöhnung zwischen Opfern und Tätern geben?

Bude: Diejenigen der Opfer, die versucht haben, einen Kontakt mit denen zu bekommen, die ihnen etwas angetan haben, stellten fest, daß die Täter fliehen. Sie scheuen das Gespräch. Straftaten müssen von Staats wegen verfolgt werden. Die Appelle der Opferverbände aber an die Verantwortlichen des SED-Regimes, sich Gesprächen zu stellen, in einen Dialog einzutreten, blieben bisher ungehört. Da gab es keine Reaktion. Eine brauchbare Möglichkeit wäre ein moralisches Tribunal zur Offenlegung des Unrechts. Auch da ist von einer Mitwirkung der Täter nichts zu spüren, obwohl die Praxis der Rechtsprechung zeigt, daß die Täter im Grunde nichts zu fürchten haben. Es erweist sich immer mehr als gravierendes Versäumnis, daß die im März 1990 frei gewählte Volkskammer der DDR den Unrechtscharakter des SED-Regimes nicht deklariert hat und keine entsprechenden Sühnemaßnahmen für Täter und Funktionäre gefordert und hat.

 

Roland Bude, geboren 1926, wurde 1950 wegen Verbindungen zu nach West-Berlin geflüchteten Studienkollegen an die sowijetischen Besatzungstruppen überstellt.Von einem Militärtribunal zu zweimal 25 Jahren "Besserungs-/Arbeitslager" verurteilt, war er von Februar 1951 bis 1955 im GULAG Workata, einem Kohlebergwerk. 1955 kam er frei, wurde 1993 durch die russische Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Er war langjähriger Vorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft sowie der Siftung für ehemalige politische Häftlinge.


 
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