© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Tierschutz: Der Wandel der Landwirtschaft hat zum Verschwinden zahlreicher Nutztiere geführt
Eine Arche für alte Haustierrassen
Gerhard Quast

Sie heißen Limpurger, Rottaler, Dülmener, Lakenfelder, Ramelsloher, Bentheimer, Moorschnucke, Meißner Widder, Sundheimer oder Skudde und haben eines gemeinsam: Sie stehen auf der "Roten Liste der bedrohten Nutztierrassen in Deutschland" in den Kategorien "gefährdet" bis "extrem gefährdet". Bei den kaum noch geläufigen Namen handelt es sich um Rinder, Schafe, Schweine, Pferde, Kaninchen oder Hühner. Sie alle waren in verschiedenen Regionen Deutschlands verbreitet – und sind heute aus dem Tierbestand deutscher Landwirte weitgehend verschwunden. Sie entsprechen eben nicht den Zuchtzielen der "modernen Tierproduktion".

Damit aber diesen Tierzüchtungen das Schicksal des Deutschen Weideschweines erspart bleibt, das vor einigen Jahren ausgestorben ist, haben sich 1981 im niederbayerischen Rottal Agrarwissenschaftler, Biologen, Landwirte, Veterinärmediziner und Tierfreunde zusammengetan und die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) aus der Taufe gehoben.

Der gemeinnützige Verein spürt seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten letzte vorhandene Tierbestände auf, initiiert Erhaltungsmaßnahmen, informiert und koordiniert Tierhalter, unterhält eigene Zuchtpopulationen und Genreserven und ist verantwortlich für die jährliche Erstellung der "Roten Liste", die seit 1987 auf gefährdete und erhaltenswerte alte deutsche Haustierrassen hinweist.

Als "gefährdet" stuft die GEH Nutztierrassen ein, deren Population unter eine Mindestbestandszahl abgerutscht ist. Diese Bestandsgrenzen sind je nach Tierart unterschiedlich festgelegt. Für Rinder sind 7.500 Tiere angesetzt, bei Pferd, Schwein, Ziege, Esel 5.000 und bei Schafen 1.500 Tiere. Als "erhaltenswert" gelten der GEH Haustierrassen dann, wenn sie mindestens 50 Jahre bekannt und von besonderer kulturhistorischer Bedeutung sind und sich zudem in einem Merkmal deutlich von anderen Rassen unterscheiden. Aufgrund dieser Kriterien hat die GEH in ihrer aktuellen "Roten Liste" über 60 Nutztierrassen als "gefährdet" bis "extrem gefährdet" aufgenommen.

Die Erkenntnis, daß sich Haustierrassen am ehesten erhalten lassen, wenn sie nicht nur als heimische Exoten für Streichelzoos gezüchtet werden, sondern wirtschaftlichen Nutzen erbringen, hat zu der Propagierung von "Arche-Höfen" geführt, die mit den gefährdeten Tieren "praktische Erhaltungszucht" betreiben. Ein solcher traditionsbewußter Betrieb ist beispielsweise der Hof Lütjensee in der schleswig-holsteinischen Knick- und Seenlandschaft. Auf 100 Hektar Fläche wird nicht nur ökologischer Anbau betrieben, sondern auch zahlreiche alte Nutztierrassen gehalten: u.a. Rotbunte Rinder, Angler Sattelschweine, Altdeutsche Schwarzbunte Niederungsrinder und Ramelsloher Hühner. Besonders angetan hat es dem Züchter das extrem gefährdete Kärntner Brillenschaf, von dem nur noch 85 Zuchtwidder und etwa 600 weibliche Tiere existieren. Seinen Namen erhielt das Schaf wegen der schwarzen Augenränder, die wie eine Brille aussehen. Nicht von ungefähr grast gleich eine ganze Herde auf Hof Lütjensee. Denn Hofeigner ist Deutschlands Brillenkönig Günther Fielmann. Rund 25 Millionen Mark investierte der Optik-Discounter in seinen Betrieb. Der 60jährige versteht sein Engagement für alte Nutztierrassen nicht "als Hobby eines reichen Verrückten". Er ist überzeugt, daß ökologischer Landbau eine Zukunft hat und auch mit artgerechter Tierhaltung Millionen zu verdienen sind.

Daß diese praktische Erhaltungszucht dringend notwendig ist, zeigt die verlorengegangene Vielfalt zum Beispiel bei der Rinderhaltung: Während im 19. Jahrhundert allein in Bayern noch 35 Rinderrassen im großen Stil gehalten wurden, reduziert sich heute fast der gesamte Bestand deutscher Kühe und Mastbullen auf fünf Rassen.

Mit dem drohenden Verlust vieler alter Haustierrassen gehen aber auch unersetzliche Genreserven verloren, die in Zukunft wieder sehr wertvoll sein könnten. Während die "Altrassen" noch bis zu 80 Prozent der Erbanlagen ihrer wilden Vorfahren besitzen, sind dies bei den hochgezüchteten Tieren oft nur noch zehn Prozent. Die aussterbenden Nutztiere verfügen daher über Eigenschaften wie Leichtfüttrigkeit, Langlebigkeit, Robustheit, hohe Fruchtbarkeit oder Resistenz gegen diverse Krankheiten, die den Hochleistungsrassen vielfach fehlen.

Auch daß mit dem Verschwinden der angepaßten Rassen nicht nur Kulturleistungen verlorengehen, sondern einmalige Artengemeinschaften, haben Naturschützer längst erkannt. Dies führte zum Beispiel zu einer steigenden Nachfrage nach der niederdeutschen Moorschnucke und dazu, daß sich aus einer Kleinstpopulation ein gefestigten Bestand entwickeln konnte.

All diese Gründe mögen wohl auch dazu geführt haben, daß sich nicht einmal Greenpeace der Faszination für die vom Aussterben bedrohten Haustierrassen entziehen konnte. "Alte Haustierrassen gelten als besonders robust und genügsam, sie widerstehen Krankheiten und begnügen sich mit kargen Böden", schwärmte das Greenpeace Magazin in einer mehrseitigen Fotoreportage.

Vielfach drückt sich in der Pflege dieser Rassen aber nicht nur die Wertschätzung für das einzelne Tier oder die Sorge um die bedrohte genetische oder Artenvielfalt aus, sondern auch ein Stück Heimatverbundenheit, wie etwa bei dem vor 15 Jahren aus Kreisen der deutschen Vertriebenen hervorgegangenen Zuchtverband für Ostpreußische Skudden und Rauhwollige Pommersche Landschafe. Für die Verbandsmitglieder stellen diese Haustierrassen auch ein Stück verlorengehendes Kulturgut dar. Denn die Skudden und Pommern sind typische Geschöpfe der ostdeutschen Vertreibungsgebiete. Aus wenigen 1945 geretteten Tieren sowie einzelnen aus dem Baltikum konnten wieder vitale, rassetypische Bestände von insgesamt bis zu 2.500 Exemplaren herangezogen werden. In Hinterpommern und Ostpreußen sind sie längst ausgestorben.

Doch der Verlust an Haustierrassen ist kein spezifisch deutsches, sondern ein gesamteuropäisches, wenn nicht sogar ein weltweites Problem. Nicht von ungefähr gibt es in vielen Ländern Europas vergleichbare Hilfsorganisationen: in Österreich zum Beispiel den Verein zur Erhaltung gefährdeter Haustierrassen (VEGH) und in der Schweiz die Stiftung "Pro Specie Rara " (PSR).

Auch länderübergreifend machen Tierfreunde mobil – zum Beispiel für den bedrohten Hausesel. Gab es vor fünfzig Jahren allein in Spanien über eine Million der geduldigen Langohren, leben heute nur noch 90.000 der fleißigen Tiere unter Spaniens Sonne. Vom kastillischen Esel soll es sogar nur noch wenige hundert geben, der katalanische steht kurz vor dem Aussterben, auf Formentera lebt nur ein einziges Exemplar.

Kein Wunder, daß sich längst auch die Welternährungsorganisation intensiv diesem Problem widmet, schließlich verschwindet nach Erkenntnissen der FAO Woche für Woche eine Haustierrasse unwiederbringlich von unserem Planeten; weltweit gelten bereits 1.500 von 4.000 bekannten Nutztierrassen als unmittelbar bedroht.

Nähere Informationen sind erhältlich bei:

Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH), Am Eschenbornrasen 11, D-37213 Witzenhausen, Tel. 0 55 42 / 18 64

Verein zur Erhaltung gefährdeter Haustierrassen (VEGH), Postfach 462, A-9010 Klagenfurt, Tel. 00 43 / 463 / 21 93 92

Pro Specie Rara (PSR), Schweizerische Stiftung zur Erhaltung des genetischen und kulturgeschichtlichen Erbes von Tieren und Pflanzen, Engelgasse 12a, CH-9000 St. Gallen, Tel. 00 41 / 71 / 2 22 74 20

Zuchtverband für Ostpreußische Skudden und Rauhwollige Pommersche Landschafe, Auf der Heide 3, 53343 Niederbachem, Tel. 02 28 / 34 37 30


 
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