© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Messe: Die IFA präsentiert Neues aus der Unterhaltungsbranche
Invasion der Fabelwesen
Ronald Gläser

Deutschland steht eine Invasion bevor: Die Invasion der Pokémons. Mit dem Spiel, das sich bereits in den USA und Japan zum Dauerbrenner entwickelt hat, will der Spielzeug-Riese Nintendo jetzt auch in Deutschland alle Rekorde brechen. Eine Acht-Millionen-Mark-Werbekampagne soll flankiert von einem Kinofilm, einer Zeichentrickserie auf RTL2 und Hunderten von Merchandising-Artikeln zur aggressiven Vermarktung des Produkts beitragen.

Das Spiel gehört zu den Attraktionen der Internationalen Funkausstellung, die am Sonnabend in Berlin beginnt. Wenn die IFA zum 75. Mal ihre Pforten öffnet, präsentieren Unternehmen aus allen Bereichen der Unterhaltungsbranche ihre Produkte. Im Zeitalter der digitalen Vernetzung verschwinden dabei die Grenzen zwischen den klassischen Bereichen wie HiFi, TV, Computer, Internet und Telekommunikation. Die IFA wird zur Multimediamesse. Die Verknüpfung herkömmlicher Technologien wird zum neuen Trend: Das Internet soll nunmehr auch über den Fernseher zugänglich sein. Neue Mobiltelefone sollen ebenso das Surfen im Internet ermöglichen. Spiele sollen online verfügbar gemacht werden. Im Bereich der Spiele- und Unterhaltungsindustrie ist die IFA wegen des anstehenden Weihnachtsgeschäfts besonders wichtig. Es geht um einen Markt mit einem Volumen von rund drei Milliarden Mark. 400.000 Besucher werden erwartet.

Das neue Spiel von Nintendo leistet seinen Beitrag zur Vernetzung der Spieler. Diese findet durch die Verbindung der Game-Boys miteinander statt. Der Sinn des Spiels Pokémon besteht darin, in einem Reich der Fabelwesen alle 150 unterschiedlichen Charaktere gefangen zu haben. Eine Edition des Spiels verfügt aber über maximal 139 der Pocket Monster wie Pikachu, die Elektromaus. Die Spieler sind also gezwungen, mit anderen Game-Boy-Besitzern den Handel der Tiere aufzunehmen. Schon heute sammeln, züchten und trainieren Hunderttausende amerikanischer und japanischer Schulkinder die Taschenmonster. Neben dem Game-Boy-Spiel, das auch bald für die Sonyspielkonsole "Nintendo64" verfügbar sein soll, hat das japanische Unternehmen auch ein Kartenspiel herausgegeben. Dadurch wurde eine Sammelwelle ausgelöst, die ihresgleichen sucht: In Japan sind mittlerweile 400 Millionen Karten im Umlauf. Bei dem Internetauktionshaus eBay stehen regelmäßig bis zu 20.000 dieser Spielkarten zur Versteigerung. Auch der Absatz der Game-Boys ist enorm gestiegen. In den USA hat er sich mehr als verdoppelt. Und die Begleitartikel machen in Japan mittlerweile einen Umsatz von neun Milliarden Mark aus, was mehr ist als der Gesamtumsatz der Spielzeugindustrie in Deutschland.

Daß man bei Nintendo so lange mit der Produkteinführung in Europa gewartet hat, hat folgenden Grund: das Spiel mußte "lokalisiert" werden. Die Übersetzung der Texte des Abenteuerspiels, darunter auch die der 150 Figuren, war so aufwendig, daß man ein Jahr dafür gebraucht hat. Nintendo liefert damit den Beweis, daß selbst die Game-Boy-Generation ihre nationalen Eigenarten nicht ohne weiteres aufgibt.

Ein anderer Unterhaltungsproduzent aus Fernost setzt mit seiner Spielkonsole neue Maßstäbe. Sega bringt die neue 128-Bit-Konsole "Dreamcast" heraus, die die beiden herkömmlichen Spielkonsolen von Nintendo und die PlayStation von Sony in den Schatten stellen soll. Das Gerät kostet 500 Mark und ist mit einem 56k-Modem ausgerüstet, das gleichzeitig das Surfen im Internet ermöglichen soll. Die Konkurrenz hat daraufhin die Preise für ihre Konsolen bereits gesenkt und ähnliche Innovationen für das kommende Jahr angekündigt.

Auch die Hersteller von PC-Spielen, mit denen in Deutschland rund 1,3 Milliarden Mark umgesetzt werden, bringen anläßlich der IFA einige Neuerungen in die Regale. So kommt die neue Version von "Panzer General" oder ein verbesserter "Prince of Persia" auf den Markt.

Im Bereich Kommunikation stellen Handyhersteller und Mobilfunkprovider neue Geräte und Dienstleistungen vor. Die Geschwindigkeit der Entwicklung ist atemberaubend. Ein neuer Mobilfunkstandard, GPRS, soll den Funktelefonen eine neue Übertragungsrate verleihen, so daß man schneller als mit Festnetzanschlüssen online gehen kann.

Die Branche kommt den Kundenwünschen kaum noch hinterher. In den Geschäften stehen die Menschen zeitweise Schlange. Hersteller wie Nokia haben hin und wieder richtige Lieferschwierigkeiten. Einer der wichtigen Gründe ist, daß die Gerätepreise und die Tarife immer weiter sinken. Neue Tarifmodelle sind auf der IFA allerdings nicht zu erwarten. Einzig E-Plus könnte einen letzten Versuch unternehmen, um doch noch mit der Konkurrenz gleichzuziehen. Das Unternehmen bietet als einziger Mobilfunkbetreiber keinen Ortstarif und konnte nach seinem guten Start vor fünf Jahren nicht den Vorsprung von D1 und D2 aufholen.

VIAG Interkom bringt dieser Tage die neue LOOP-Karte auf den Markt. Dieser Mobilfunkvertrag macht Telefonieren billiger als je zuvor. Nur Telefonieren zum Nulltarif wäre noch günstiger: Am Wochenende kosten Gespräche von VIAG zu VIAG deutschlandweit nur noch einen Pfennig. Unter den 850 Ausstellern befinden sich auch die meisten der neuen Anbieter von Festnetzgesprächen. Auch hier sind die Preise seit der Liberalisierung ins Rutschen geraten. Neben bereits eingeführten Marken wie Arcor, MobilCom oder Talkline präsentiert sich erstmals BerliKom den Besuchern. BerliKom ist eine Tochter der Berliner Wasserwerke und will der Telekom in dem lokalen Markt das Wasser abgraben.

Bereits auf der letzten IFA wurde die DVD (Digital Versatile Disc) vorgestellt, die sich in Fernost zwar durchgesetzt hat, hierzulande aber bisher kaum in Erscheinung getreten ist. Diesem Speichermedium, das den Inhalt von 28 CDs oder von 10.000 Disketten faßt, soll nun zum Durchbruch verholfen werden. Rund 60 Gerätetypen von Anbietern wie Pioneer, Sony und Sharp stehen derzeit zur Verfügung. Problematisch bei dem Produkt ist, daß es sich noch beschreiben läßt, wie dies bei CDs auch für private Anwender längst möglich ist.

Zwanzig Jahre nach Einführung des Walkmans droht diesem das Aus. Mit MP3, einem neuen Komprimierungsverfahren für Audio-Dateien, werden Lieder kompakt gespeichert und zum Beispiel über das Internet verschickt. Geräte zum Abspielen der Musik werden auf der IFA vorgestellt. Sie sind nicht größer als eine Zigarettenschachtel. Die Hersteller erwarten gewaltige Umsatzzahlen, während die klassische Musikbranche große Einbußen befürchtet.

Schon vor zwei Jahren wurden internetfähige Fernseher vorgestellt. Bisher hat sich diese Verbindung von TV und World Wide Web allerdings nicht durchgesetzt. Auch jetzt kann bezweifelt werden, ob sich der neuerliche Versuch, die Homepage ins Wohnzimmer zu bringen, durchsetzen wird. MobilCom hat mit Kooperationspartnern eine Set-Top-Box entwickelt, die auch diejenigen an das Internet anschließen soll, die über keinen eigenen PC verfügen. In Amerika verlief die Vermarktung solcher Zusatzgeräte ziemlich erfolglos. Das Produkt kam vom Image des "Internets für den Opa" nicht los.

Dagegen setzt sich ein altes Produkt im neuen Gewand immer mehr durch: die Digitalkamera. Die Auflösung und Qualität der Geräte wird immer besser. Vor allem aber werden die Kameras immer billiger. Auch hier dominieren die asiatischen Produzenten wie Sony. Auch herkömmliche Fotoapparate und Kameras werden leichter, kleiner und billiger.

Während die öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programm zehn Tage lang rund um den Berliner Funkturm gestalten werden, üben sich die Privatsender auf der IFA in Enthaltsamkeit. Sie haben sich in diesem Jahr gegen eine Beteiligung an der Multimediamesse entschieden. Sie sei ihnen zu teuer und zu aufwendig. Sie werden aber auf anderer Weise in Berlin präsent sein: Der neue Hauptstadtsender SAT1 feiert die Eröffnung des neuen Sendezentrums in Berlin-Mitte, und RTL veranstaltet sein Popkonzert "The Dome" in Berlin.


 
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