© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Ausstellung: "Kunst und Kultur der Karolingerzeit" in Paderborn
Vater des Abendlandes
Ralf Fritzsche

"Der König, der Vater Europas, und Leo, der oberste Hirte auf Erden, sind zusammengekommen und führen Gespräche über mancherlei Dinge." Dieser schlichte Satz aus dem "Karlsepos", das in den ersten Jahren des 9. Jahrhunderts entstand, täuscht über die gewichtige Bedeutung dieses Treffens hinweg. Die Begegnung des fränkischen Herrschers Karls des Großen mit Papst Leo III. in Paderborn im Jahre 799 sollte zu einer Episode werden, die die weitere Geschichte des Mittelalters tiefgreifend beeinflußte. Schließlich wurde nicht nur nach Lösungen für den Konflikt des Papstes mit seinen römischen Gegnern gesucht sowie über die Aufteilung Sachsens in Bistümer gesprochen, sondern es wurde vor allem verhandelt über ein Bündnis zwischen dem Papst und dem fränkischen Reich, welches an Weihnachten im Jahre 800 in der Peterskirche in Rom mit der Kaiserkrönung Karls besiegelt und vollendet wurde.

Während Karl als Herrscher des Frankenreiches (König der Franken, König der Langobarden, Schutzherr der Römer) sowie als Bezwinger der Sachsen und Awaren die zentrale Macht im europäischen Abendland darstellte, war Leo III. in Rom in heftige Machtkämpfe verwickelt; im April 799 wurde sogar ein Attentat auf ihn verübt. Leo mußte fliehen und suchte einen Schutzherrn, der mächtig genug war, ihm seine Autorität zu sichern. Der Kaiser in Byzanz wäre zwar die erste Adresse für den Hilfesuchenden gewesen. Doch aufgrund eigener innenpolitischer Probleme am Bosporus – die Kaiserin-Witwe Eirene regierte ihr Reich wenig glücklich, und den Arabern gelang es, weite Teile Kleinasiens zu besetzen – konnte der Papst von dieser Seite keine Hilfe erwarten und wandte sich an Karl den Großen.

Die Ausstellung über diese Zeitenwende verteilt sich auf die Gebäude der Kaiserpfalz und des Diözesanmuseums. Im ersteren wird vor allem über die historischen Zusammenhänge und Hintergründe informiert: Die Mächte, die zu dieser Zeit in die europäische Geschichte involviert waren (Franken, Papst, Byzanz und die Araber), das Treffen in Paderborn als solches, wobei hier auch auf die Reaktionen der Zeitgenossen eingegangen wird. Imaginäre Tonbandaufnahmen der byzantinischen, fränkischen und römischen Sichtweise sowie Handschriften im Original geben hierüber Aufschluß. Projektionen auf große weiße Leinwände sollen eine Atmosphäre dieses Treffens vermitteln, das in der sächsischen Pfalz Paderborn mit großem Pomp wohl auch deshalb inszeniert wurde, um den Anspruch des Herrschers der Franken auf die Kaiserkrone zu unterstreichen. Denn er demonstrierte mit dieser Ortswahl, daß nur er in der Lage sei, sowohl gegenüber aufständischen Völkern als auch anderen potentiellen "Oppositionellen" die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Spätantik-frühchristliche Kunst, wie zum Beispiel die bronzene Lupa aus dem 2. Jahrhundert, die Karl in seine Pfalz in Aachen bringen ließ, oder der sogenannte Quadrigastoff (ein Seidenstoff mit der Abbildung eines Vierergespanns) aus dem 8. Jahrhundert zeugen vom Übergang des Altertums zum Mittelalter. Einige Relikte der damals typischen Architektur oder Innenaustattung können jedoch nur noch eine schwache Ahnung von der Pracht der Bauten im Frankenreich vermitteln. Auch Münzen, die Karls Porträt zeigen, lassen offen, ob der Herrscher wirklich so ausgesehen hat.

Bei den Lebensgewohnheiten der Sachsen ist man aufgrund schütterer schriftlicher Quellen besonders auf die Archäologie angewiesen. Gerätschaften und Kleidung, die Auskunft geben können, werden in ihrer Aussage noch übertroffen vom Ausstellungsteil über die Sachsenkriege, wobei hier nicht nur die Waffen, sondern auch eingeschlagene Schädelknochen über die Zeit des etwa 30 Jahre (772 – 804) währenden Krieges auf makabre Weise informieren. Schließlich geht die Ausstellung auf das Ende der Kriege und den Kulturwandel im sächsischen Raum ein. Die Geschichte von Orten wie Paderborn, Münster, Soest, Höxter, Osnabrück, Herford und Minden, die sich nicht nur zu kirchlich-kulturellen, sondern auch zu politisch-administrativen Zentren entwickelten, wird in der Ausstellung gezeigt.

Im Diözesanmuseum liegt das Hauptaugenmerk auf der Christianisierung sowie der Kirche um 800: Die angelsächsische Mission, hier personifiziert durch die Heiligen Bonifatius und Liudger, die Entwicklung der Kirchen, welche auch baulich-plastisch dargestellt wird in Form von Modellen, Stiftungen, Bistumsgründungen und Reliquientranslationen. Letzteres war besonders bedeutsam, da die Reliquien seit der ausgehenden Antike sehr ausgeprägt verehrt wurden. Weil die Heiligen in einem besonderen Gunstverhältnis zu Gott standen, besaßen auch ihre Überreste dementsprechende Macht, konnten Heil spenden und Schutz bieten. So ist es kein Wunder, daß man 836 auch nach Paderborn die heiligen Gebeine eines Bischofs namens Liborius aus der französischen Stadt Le Mans übertrug. Noch heute erinnert ein jährliches Volksfest in Paderborn daran.

Erwähnung bedarf die Ausstellungssektion über die karolingische Renaissance, denn Karl verstand sich nicht nur als Verbreiter und Festiger des Christentums, sondern auch als Förderer von Kunst und Wissenschaft. Christlich-spätantikes und in geringerem Maße germanisches kulturelles Erbe sollten in der Aachener Hofschule sowie in den anderen, teilweise noch einzurichtenden Dom- und Klosterschulen vermittelt werden. Träger dieser Bewegung war ein enger Kreis um Karl den Großen, dem so berühmte Leute wie der Angelsachse Alkuin aus York, Paulus Diaconus aus Montecassino und der Biograph Karls des Großen, Einhard, angehörten.

Zur wichtigen Errungenschaft wurde in dieser Periode die "karolingische Minuskel", die im Prinzip noch in unseren heutigen Schriftformen erhalten ist. Eindeutiger Höhepunkt der Ausstellung ist hierbei das Lorscher Evangeliar, eine mit Elfenbeintafeln verzierte Handschrift, die um 810 entstand und in ihrer Form nicht nur an die Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei, sondern auch an die Wandmalerei jener Zeit denken läßt.

Die Ausstellung schließt mit dem Proserpinasarkophag, der die Sage des Raubes dieser schönen Frau durch Pluto in der römischen Mythologie darstellt und in dem Karls Gebeine – 814 bestattet – bis 1165 ruhten. Daß sich Karl dabei nicht an den heidnischen Figuren störte, zeugt von einer großen Offenheit des Herrschers, dem zwei große Nationen Europas ihre Entstehung verdanken.

 

Die Ausstellung ist bis zum 1. November zu sehen. Geöffnet ist täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 98 DM (Museumsausgabe), gebunden 140 DM.


 
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