© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Kulturtagebuch: Siegfried Lenz erhält den Goethe-Preis der Stadt Franfurt
Blick auf eine beschädigte Identität
Werner Olles

Der Schriftsteller Siegfried Lenz erhält am 28. August den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. 1988 war Lenz bereits mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für "seine literarischen Bemühungen um die deutsche Identität" ausgezeichnet worden.

Lenz, der am 17. März 1926 in Lyck (Ostpreußen) als Sohn eines Zollbeamten geboren wurde, kam mit 17 Jahren zur Kriegsmarine, desertierte in Dänemark und geriet 1945 in britische Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung studierte er in Hamburg Anglistik, Philosophie und Literaturwissenschaften, brach jedoch 1948 seine Studien ab, um als Volontär in die Tageszeitung Die Welt einzutreten, bei der er schließlich Nachrichten- und Feuilletonredakteur wurde. Mit seinem Debütroman "Es waren Habichte in der Luft" (1951) beschrieb er die Geschichte eines Fluchtversuches aus der Diktatur. Eine eher heitere Sammlung "Masurischer Geschichten" legte er 1955 mit "So zärtlich war Suleyken" vor. Die Tragik des Alterns im Beruf schilderte Lenz in "Der Mann im Strom" (1957), während "Stadtgespräch" (1963) sich mit dem Widerstand im besetzten Norwegen befaßte. Sein größter literarischer Erfolg war jedoch der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde", der in epischer Breite, aber dennoch atmosphärisch dicht die Auseinandersetzung der Flakhelfer-Generation mit dem NS-Regime zum Inhalt hatte.

Politisch stand Lenz der Sozialdemokratie Willy Brandts nahe, für den er 1965 als Redner auftrat, und den er 1970 als gebürtiger Ostpreuße gemeinsam mit seinem aus Danzig stammenden Kollegen Günter Grass zur Unterzeichnung der deutsch-polnischen Verträge nach Warschau begleitete.

Lenz ging es jedoch auch immer um die beschädigte Identität der Deutschen. Anders als die meisten linken Intellektuellen hat er seine Kritik an vermuteten und tatsächlichen Restaurationsbestrebungen recht behutsam und differenziert geäußert. So trat er aus der "Gruppe 47" aus, als er dort zunehmend die Verbindung von "Mitleid, Gerechtigkeit und Protest" vermißte. Seiner gesellschaftlichen Verantwortung als Autor ist er sich bis heute bewußt. Die Laudatio wird am Samstag in der Frankfurter Paulskirche Marcel Reich-Ranicki halten.


 
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