© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


CD: Pop
Charakterstudien
Holger Stürenburg

Wenn man anspruchsvolle Nachwuchsliederschreiber nach ihren Vorbildern fragt, fällt (neben Bob Dylan oder John Lennon) meist noch ein weiterer Name: Randy Newman, der große alte Mann der amerikanischen Liedermacherzunft. Der notorische Einzelgänger aus New Orleans bequemt sich nur alle Jubeljahre, ein neues Album zu veröffentlichen, auf dem er dann jedoch regelmäßig in höchster Qualität Gift und Galle spuckt. "Bad Love" ist die erste reguläre CD-Veröffentlichung von Randy Newman seit "Land of Dreams" (1988) und zeigt den Chefzyniker vom Dienst, trotz seiner inzwischen fast 60 Jahre, wieder mal in lyrischer Höchstform.

Charakterstudien wie die über den herzlosen Großkapitalisten ohne soziales Gewissen ("It’s the Money, that I love", 1979), den Sozialdarwinisten ("Short People got no Reason to live", 1977), den immer nur heimlich geilen Verklemmten ("You can leave your Hat on"), die schüchterne Bürgettochter auf einer Drogenparty ("Mamy told me not to come", 1972) oder den abgeklärten Großstadtyuppie ("I love L.A.", 1983), sind schon immer seine Spezialität gewesen. Mit zunehmendem Alter jedoch scheinen Newmans Charaktere immer deutlicher autobiographische Züge anzunehmen. Dies zeigt sich eindeutig auch auf "Bad Love": So ist der alternde Rockstar in "I’m dead (but I don’t know it)", der alles besitzt, aber trotzdem längst ‚daneben‘ ist, sicher kaum jemand anders als Newman selbst. "My Country" beschreibt einen stolzen Amerikaner, voller Liebe für sein Land – trotz allem Pathos steckt sicher auch hier Newman selbst dahinter, zumal bereits sein letztes Album "Land of Dreams" fast ausschließlich den vielen Licht- und noch zahlreicheren Schattenseiten des amerikanischen Traumes gewidmet war.

Natürlich nimmt Newman auch in seinen neuen Liedern weder sich noch die von ihm beschriebenen Charaktere allzu ernst. Nicht einmal die goldenen Regeln der Politischen Korrektheit sind vor ihm sicher. So kommt er auf "Bad Love" auf die Idee, zu den Marschmusikklängen von "The Great European Nations" die massige Einwanderung von Europäern im 18. und 19. Jahrhundert ins gelobte Land mit der "British Invasion" angelsächsischer Rockbands in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts zu vergleichen. Der Opportunist wird in "I want everybody to like me" genauso böse karikiert wie ein verblendeter Neomarxist in "The World isn‘t fair": Ein Marx-begeisterter Jüngling schließt immer die Augen ganz fest zu, wenn er die Ungerechtigkeiten der Welt sieht, und fleht nun bei seinem Vorbild Karl um Verständnis für diese doch allzu menschliche Haltung.

Musikalisch hingegen tauchen auf "Bad Love" keine größeren Neuerungen auf. Vielmehr könnte man meinen, Newman selbst betrachte die musikalische Untermalung seiner genialischen Lyrik eher als Beiwerk. Newman verbindet seine Texte je nach inhaltlicher Aussage mal mit härteren, mal mit sanfteren Kompositionen. Mal gibt es Ragtime, Balladen oder klassischen Pop, und sogar eine Heavy-Metal-Nummer ist dabei.

Randy Newman kann man entweder lieben oder hassen. Ein ausgeglichenes Verhältnis zu ihm und seinen bösartigen Kunststückchen scheint nicht möglich zu sein: Viele werden auch sein neues Album mögen. Für politisch korrekte Mitmenschen, oberflächliche Geister oder Anhänger lyrischer Ergüsse wie "Boom Boom" von den Venga Boys wird jedoch der Sinn von "Bad Love" verschlossen bleiben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen