© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Kino: "Die Farbe der Lüge" von Claude Chabrol
Spiel mit Charakteren
Ellen Kositza

Das Mädchen Eloise beim privaten Zeichenunterricht. Minuten später, Eloise im Wald. Tot, der mißlungene Versuch einer sexuellen Mißhandlung ist nachweisbar. Verdächtigt, wenn auch unausgesprochen wird sogleich der Zeichenlehrer René (Jacques Gamblin), menschenscheu, ein verkannter Künstler. René lebt mit seiner charmanten Frau Viviane (Sandrine Bon-narie) in lose gepflegter Nachbarschaft zum Erfolgsjournalisten und Medienstar Germaine-Roland Desmot (Antoine de Caunes), der regelmäßig seinen Urlaub in dem Dorf an der bretonischen Küste verbringt. Germaine-Roland ist ein Frauenheld und ein Frauenkenner, kaum eine Frau, die seinem Süßholz nicht erliegt. Daß er seine Aufmerksamkeit schon seit einiger Zeit Viviane widmet, die ihren Mann hingebungsvoll liebt, schmeichelt der Künstlergattin und vermag sie kurzweilig von ihren Sorgen um René abzulenken. Als René, von dem sich die Dorfbevölkerung zunehmend abwendet, tief in Depressionen zu versinken droht, scheint Viviane eine Affäre mit Desmot zu beginnen. Da kommt es zu einem zweiten Mord …

Alles scheint so klar zu sein: Auf der einen Seite der gewandte, selbstgefällige Kraftprotz Germaine-Roland, die Vitalität in Person, stets ein Zitat von Drieu de la Rochelle auf den Lippen, auf der anderen Seite der sanfte, sensible René mit seiner Körperbehinderung und seinem Verkanntsein in dieser Welt. Der Übeltäter stünde fest – wäre nicht Claude Chabrol Herr über diesen Film. Chabrol, immerhin schon über 40 Jahre Meister in seinem Fach, arrangiert die Fährten viel zu scharfsinnig, als daß dem Film eine derart einfach zu lösende Moral zugrundeliegen könnte. Wie Chabrol filmtechnisch mit den Farben, dem Licht spielt, so spielt er auch mit seinen Charakteren. Während etwa die schöne Ermittlerin (Valeria Bruni-Tedeschi) von Beginn an undurchschaubar ist, verändern sich andere Figuren im Laufe des Films – dies jedoch nicht als Überraschungseffekte, sondern gleichsam wie durch einen langsam variierenden Einfallswinkel des Lichts.

Es ist sicher eine Kunst für sich, einen im Grunde so ruhigen Film ohne Spannungsverlust zu gestalten. Ein Sahnehäubchen gewissermaßen bildet die wie dahintröpfelnde Begleitmusik von Mathieu Chabrol, wie nebensächlich und doch unüberhörbar pikant. Die Wortspielereien freilich, die dem französischen Original einen zusätzlichen Reiz geben und mitunter inhaltliche Bedeutungsschwere in sich tragen, können in der deutschen Synchronisation nicht deutlich herausmodelliert werden. Dadurch wird der deutsche Kinogänger wohl stärker als der Muttersprachler an das klassische Krimi-Schema gebunden, welches die konkrete Linie der Filmhandlung markiert. Die hintergründigsten Reflexionen über Lüge und Wahrheit entgehen einem dadurch vielleicht – schlechter wird der Film so aber kaum.


 
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