© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Berlin: Umstrittener JU-Aufkleber wird trotz gewalttätiger Proteste unters Volk gebracht
Kreuzberger Ghetto entzaubert
Philip Plickert

Kann ein kleiner Aufkleber Berlin spalten? Er kann, zumindest wenn er von der Jungen Union Kreuzberg stammt und die Aufschrift trägt: "Deutschland muß in Kreuzberg wieder erkennbar sein". Der Regierende Bürgermeister und CDU-Landesvorsitzende Eberhard Diepgen, der den Aufkleber nicht verurteilen wollte, betreibe die Spaltung der Stadt, entrüstete sich die SPD.

Der Bezirk Kreuzberg, einst das Dorado der Alternativen, der Studenten, Wehrdienstvermeider, Hausbesetzer, Aussteiger und sonstigen Gestrandeten wird aber auch von Linken nicht mehr so positiv gesehen wie noch vor zehn Jahren. Über ein Drittel der 150.000 Bewohner des "Kiez" sind Ausländer, ganze Straßenzüge fest in islamischer Hand. Das extrem überfüllte Viertel ist in ganz Berlin eines der ärmsten, sogar im Vergleich zum Ostteil der Stadt. Die links-alternative Stadtzeitung zitty beschrieb die Zustände dras-tisch, aber ehrlich mit dem "Hundescheißfaktor: drei Haufen pro Bürgersteigmeter plus eine Pfütze Erbrochenes".

"Gering ist die Anzahl positiver Merkmale in Kreuzberg geworden", schreibt auch die Junge Union in einem Brief an ihre Mitglieder. Schlimm seien die offene Drogenszene am Kottbusser Tor, die chaotischen Maikrawalle am Oranienplatz, die Schmierereien und die hohe Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquote. Und die Hauptursache für das schlechte Ranking sei die "hohe Konzentration integrationsunwilliger Ausländer", dachte sich die JU. Aber darüber dürfe gar nicht mehr geredet werden, und deshalb wolle sie mit dem Aufkleber provozieren und polarisieren. "Das ist uns gelungen, wir haben das Thema wieder in die Schlagzeilen gebracht," freut sich Lars Meissner, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion in Kreuzberg gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Geradezu hysterisch nahm die Presse und der politische Gegner die Aufkleber-Idee der JU auf. Das sei "ausländerfeindlich, geistige Brandstiftung und notdürftig verdeckter Rassismus", so lautete unisono das Echo. Dabei hatte die JU zuvor in ihrem Rundbrief davor gewarnt, den Aufkleber als "nette Umschreibung für ’Ausländer raus‘ mißzuverstehen." Aber wenn einer sie bewußt mißverstehen wolle, dann werde er sie immer mißverstehen, meinte der CDU-Bezirksverordnete Meissner.

Aber auch aus dem eigenen Lager erhielten die Kreuzberger JU-Aktivisten enttäuschend wenig Rückendeckung. Vorsichtig abwartend bis ablehnend reagierte der Landesvorsitzende der Jungen Union, Thorsten Reschke. Er hält die Aktion zwar "persönlich nicht besonders sinnvoll", verweist jedoch auf die "Autonomie der Kreisverbände". Schweres Geschütz fuhr die Ausländerbeauftragte der Stadt, Barbara John (CDU). Sie nannte die Aktion "menschlich abstoßend". Auch der türkische Bund empörte sich. "Das klingt wie ’Deutschland den Deutschen‘, sagte Sprecherin Nurdan Kütük. "Der massive Weggang der angestammten Bevölkerung hat mit den Ausländern nichts zu tun." Die SPD zeigte sich pflichtbewußt empört und tief betroffen.

Aber angesichts der Realitäten gibt es auch nachdenkliche Töne von einzelnen in der SPD. Im August vorigen Jahres äußerte sich in einem zitty-Interview der SPD-Politiker Kenen Kolat vom Arbeitskreis Migrantenpolitik auf die Frage, ob junge Eltern aus Kreuzberg ihre Kinder zunehmend auf Schulen in anderen Bezirken schickten, weil in Kreuzberger Klassen zu viele türkische Kinder sind: Nicht nur "linke Deutsche verlassen heute diese Bezirke, sondern auch Türken, insbesondere diejenigen, denen es besser geht". Zurück blieben die "Problemmenschen". Ein taz-Redakteur sagte an gleicher Stelle zur Multi-Kulti-Euphorie: "Ein nicht unerheblicher Teil der linken ’Ausländerfreunde‘ hat sich dem Thema Migration in einer grenzenlosen Naivität angenähert." Ebenso habe die Linke die Ausländer instrumentalisiert, denn mit diesem Thema konnte man sein "Unbehagen an der deutschen Nation wunderbar ausleben".

Dieses "Unbehagen an der eigenen Nation" verhindert, sich mit dem Problem der Überfremdung sachlich auseinanderzusetzen. "Da kommt sofort die PC-Keule," meint Meissner,"dabei, wenn sie ehrlich ist, hat die SPD die Problematik auch längst erkannt." In ihrem Wahlprogramm fordere sie eine Obergrenze von 40 Prozent Ausländern in einem bestimmten Gebiet. Sonst bestehe – wie in Kreuzberg – überhaupt kein Integrationsdruck mehr. "Es gibt hier keine Notwendigkeit mehr, die deutsche Sprache zu erlernen. Wir haben türkische Geschäfte, türkische Ärzte, türkische Bäcker, türkische Metzger, türkische Apotheken, türkische Zeitungen. Unser Aufkleber hat mitten ins Schwarze getroffen."

Sollte die JU die Aufkleber im Wahlkampf tatsächlich verteilen, so konterte der Landesvorsitzende der Junge Liberalen: "Wir haben genügend JuLi-Aufkleber parat, um die miesen Parolen zu überkleben. Wir freuen uns auf die nächtliche Begegnung mit der JU-Kreuzberg! Hasta la vista, Babys!"

Ähnlich heiß auf Begegnungen waren wohl auch jene unbekannten Täter, die zur Warnung die Fensterscheiben der JU-Geschäftstelle im Bezirk Tempelhof zerschlugen und die Wand beschmierten: "Wir sehen uns am Samstag wieder!" Da der Staatsschutz vor brutalen Übergriffen aus dem autonomen Milieu gewarnt hatte, sagte der JU-Kreisvorsitzende Scott Körber die geplanten Stände in letzter Sekunde ab.

Der Vorsitzende der Republikanischen Jugend, Thomas Kay, nannte dies "erst den Mund bis zum Überlaufen vollnehmen, und dann den Schwanz einziehen." Die Nachwuchsorganisation der Rechtspartei kündigte an, sie wolle im Wahlkampf identische Aufkleber mit REP-Aufdruck verteilen.

Meissner sagte dagegen, die JU nehme die Aufkleber entgegen anderslautenden Berichten keineswegs zurück. "Aber wir haben ja kaum noch Aufkleber!" jubelt er. Von den 20.000 seien kaum noch welche übrig, da die Junge Union Kreuzberg Hunderte von Zuschriften bekommen habe mit der Bitte, "die Dinger per Post zuzuschicken."


 
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