© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Brandenburg: Die rechte Jugendszene orientiert sich um
Ein neues Bewußtsein
Karl-Peter Gerigk

Die Fahrt führt vorbei an renovierungsbedürftigen Patrizierhäusern im Kolonialstil und verwitterten Reihenhausfassaden, an einer weißgetünchten Trabantensiedlung mit vielen Ausländerwohnungen, an einer Tankstelle und den "Schuppen", in denen von Zeit zu Zeit die Bösen Onkelz gespielt werden. Doch von Rechtsradikalen und Skinheads findet sich keine Spur im Straßenbild von Fürstenwalde. Dabei soll die 35.000 -Einwohner-Stadt eine Hochburg der rechten Jugendszene in Brandenburg sein.

Mit dem Auto fahren wir weiter durch Fürstenwalde. An einem Reihenhaus holen wir Monika ab. Mit ihr gehen wir in eine kleine Pizzeria. Auf den Tischen liegen altrosa Decken, die Preise sind günstig und das Ambiente eher gediegen bürgerlich als rustikal, schon gar nicht igendwie "faschistoid".

Monika erzählt: "Natürlich gibt und gab es bei uns in Fürstenwalde viele radikale und rechts eingestellte junge Leute. Aber mit denen habe ich heute nicht mehr so viel zu tun. Nicht weil ich sie nicht mehr leiden kann, sondern weil ich mich nun neu orientiere, Fürstenwalde vielleicht verlasse, nach dem Abitur eine Ausbildung mache oder studiere." Mit dreizehn Jahren, also etwa 1993, bekam Monika erstmals Kontakt zu "Rechten". "Viele waren kahlgeschoren", sagt sie. Aber das sei eher Zeugnis eines gemeinsamen Lebensgefühls, hätte gemeinschaftsbildende Wirkung und sei weniger Ausdruck einer politischen Haltung gewesen.

"Wir haben uns zum Teil bei den Jungs zu Hause getroffen oder auch in Kneipen. Es gibt in Fürstenwalde auch heute noch Treffpunkte der Rechten", berichtet sie. Doch sie möchte nicht sagen wo. Es gäbe viele Spitzel und Leute, denen man nicht trauen könne, erklärt Monika. Diese versuchten immer etwas herauszubekommen, um es an die große Glocke zu hängen und von einer rechten Organisation und gesteuerten Aktionen sprechen zu können.

"Ich bin mit einigen meiner Freunde von damals noch in Kontakt. Wir treffen uns und machen auch noch einiges zusammen. Es sind heute aber nicht mehr unbedingt nur die Sonnenwendfeiern, bei denen wir uns treffen. Wir unterhalten uns darüber, was wir in diesem Staat machen können und wollen. In Beruf und Familie", schildert Monika ihre heutigen Kontakte mit der "rechten Szene" in Fürstenwalde.

Doch schon damals habe es keine großen Planungen und Aktionen gegeben. Zwar hätte es Taten gegeben, die man als kriminell bezeichnen könne. Aber von einer kriminellen Szene möchte sie nicht sprechen. Die gäbe es wohl eher dort, wo die Leute nicht als Skinheads zu erkennen sind oder gar keine rechte Einstellung haben, denen es nur um ein bestimmtes Ergebnis gehe: die Beute einer Tat, die Berichterstattung in der Tagesschau oder die Schlagzeile in der Zeitung. Viele wollten die jungen Leute isolieren und schlechter machen, als sie sind. Die "rechte Identität" sei wohl eher Ausdruck einer Selbstbestimmung der Jugendlichen, die sich mit der Kälte eines herzlosen Kapitalismus nicht abfinden könnten oder wollten. "Natürlich hat es auch Übergriffe gegen Ausländer gegeben", gibt Monika zu.

Die jungen Leute, in Fürstenwalde und anderswo in der ehemaligen DDR, haben durch den Zusammenbruch des SED-Regimes auch das verloren, was ihnen ein Zuhause vermittelte, wenn es durchaus wohl auch bessere gegeben haben mag, als die SED-Diktatur. Dieser Verlust konnte durch die "Supermarkt-Ideologie" der Nachwendezeit und die unreflektierte Umsetzung des Wiedervereinigungsprozesses nicht aufgefangen werden. Die Ware ersetzt nicht den Geist, die Idee oder die Gemeinschaft.

"Daß sich eine Gemeinschaft innerlich gegen das Fremde richtet, ist eher ein oberflächliches Symptom einer tiefen Perspektivlosigkeit und das Anzeichen für Angst um die eigene Existenz bei der jungen Generation, die ihre Interessen nicht vertreten sieht", begründet Monika, warum sich die jungen Menschen im Osten auch mit rechten Symbolen identifizieren. Sie geben ihnen Selbstbewußtsein.

Dabei ist der Wunsch vieler junger Leute kein anderer als der, den ihre Eltern auch hatten: Ausbildung, Beruf, sozialen Umgang, Frau und Kind, Urlaub usw. Wer oder was ist hier also "rechts", was Jugendkultur und was Sub- oder gar Unkultur?

Manche linke Blätter thematisieren das Entstehen einer neuen rechten Jugendkultur. Die "neuen Nazis" seien gefährlich und offenbarten sich dadurch, daß sie ihre kulturellen Insignien in die Populärkultur einbauen, schreibt zum Beispiel das Berliner Szenemagazin Tip in seiner letzten Ausgabe.

"Natürlich ist und war die rechte Jugendkultur ein Ausdruck von Protest", sagt Monika. Und damit hat sie wohl recht. War zu Zeiten von Elvis Presley die Lederjacke und die Tolle ein sichtbares Anzeichen dafür, daß der spießbürgerliche Muff vielen Jugend-lichen zum Halse heraus hing, so ist die Stilisierung zum rechten Gesetzlosen in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft nicht viel weniger.

"Die Leute, die mit mir vor fünf, sechs Jahren in den Jugendtreffs waren, die Bösen Onkelz gehört haben und auch rechte Zeitungen gelesen haben, laufen heute meist nicht mehr in Spingerstiefeln herum oder sind Glatzköpfe. Sie orientieren sich äußerlich an dem, was der Lehrherr erwartet oder auch was gerade Mode ist", meint Monika.

Die Warnung vor einer rechten Popkultur scheint begründbar, wenn auch weniger verständlich, will man nicht den Kapitalismus mit seinem marktgerechten Mainstream in Frage stellen. Wenn der Kapitalismus alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest ist und so die "Nazi-Subkultur" Eingang in alle Bereiche der postmoderen Gesellschaft findet, wie der Tip beklagt, dann offenbart sich hier auch die Furcht vor der Idee im Konsum, nämlich daß das rein materiell orientierte Gewinnstreben ersetzt werden könne durch ein Gewinnstreben zu einem Zweck, der nicht im Konsum oder Geld an sich liegt.

In jeden Falle wird die fehlende Identifikation mit sich selbst durch die Projektion der Individualität auf äußere Anzeichen zu kompensieren versucht. Gemeinsames "Outfit" kann gemeinschaftsbildend wirken, jedoch auch verwirrend und zerstörerisch, wenn äußerer Druck die Identität in Frage stellt, oder Konsum und der hohle Glanz des scheinbar Schönen ein ideelles Leitbild ersetzen wollen. Das Eiserne Kreuz, die sogenannte Reichskriegsflagge, die Springerstiefel oder selbst das Hakenkreuz stiften Sinn, Zusammengehörigkeit und Bewußtsein und werden als maßgeblich für die eigene Existenz und Ich-Findung empfunden – ebenso wie Levi’s, Esprit oder Benetton.

"Nach der Wende gab es viele Sachen in den Läden zu kaufen. Zum Kaufen braucht man Zeit und Geld. Aber das hatten wir nicht. Durch Konsum kann man sich nicht mit dem Staat und dieser Gesellschaft identifizieren, und es wird deutlich, das vieles käuflich ist", erklärt Monika.

Also richtig, was der Tip schreibt und wozu die Mode beiträgt: "Nazi-Pop" scheint gesellschaftsfähig zu werden, und die Menschen, die dies gut finden, sind Teil dieser Gesellschaft. Auch die 68er revoltierten einst gegen den Muff, den Spießbürger, die "Bullen" – und sind heute Minister.


 
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