© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Brandenburg: Die DVU hat mit ihrer Materialschlacht gute Erfolgsaussichten
Der Doktor zieht die Strippen
Frank Philip

Die DVU ist in Brandenburg das Schreckgespenst der Eta-blierten. Je näher der 5. September rückt, desto hektischer werden die Mahnungen an das Wahlvolk, das Kreuz ja nicht an der falschen Stelle zu machen. Vergangene Woche haben nun fünfzig Schriftsteller, Schauspieler, Journalisten und Musiker einen Aufruf gestartet unter dem Motto: "Künstler und Autoren gegen rechts". Zu den Unterzeichnern gehören Manfred Krug, Martin Walser, Barbara Thalheim, Otto Sander, Katja Ebstein und die "Puhdys". Bei der Präsentation des Textes, der in brandenburgischen Zeitungen als Anzeige geschaltet wurde, erschienen in Potsdam außer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) jedoch nur vier der Unterzeichner. Die "Puhdys" und der Sänger Holger Biege waren trotz Zusage nicht erschienen, wie die wachsame Presse vermerkte.

Der Musiker Stephan Michme von der Magdeburger Band "SCYCS" beschwor die Jugend: "Wählt alles, nur nicht rechts!" Ministerpräsident Manfred Stolpe begrüßte die als überparteilich vorgestellte Initiative und sagte, "Ich wünsche mir noch viel mehr Aktivitäten gegen Rechts, etwa von der Wirtschaft". Als Spielverderber dieser Volksfront gilt in linken Kreisen die CDU und deren Spitzenkandidat, Jörg Schönbohm. Diese verweigerten sich in den meisten Landkreisen dem "Bündnis gegen rechts". Die lokalen Bündnisse, zumeist von der PDS organisiert, kämpfen jedoch gegen einen unsichtbaren Feind. Außer den rund 500.000 Postwurfsendungen und etwa 50.000 Plakaten (von denen immerhin schon 20.000 demoliert wurden) bekommt man von der DVU nichts zu sehen, keine Kandidaten, keine Auftritte, nichts.

In einem offiziös wirkenden Rundschreiben an die "Bürgerinnen und Bürger in Brandenburg" mit "wichtigen Unterlagen zur Wahl " stellt die DVU sich als Protestpartei vor, die für deutsche Interessen kämpfe. Arroganten Polit-Bossen solle man einen saftigen Denkzettel verpassen, schließlich sei die DVU die Partei, "über die sich die Herrschenden am meisten ärgern".

Ein Handzettel erklärt, wie man richtig wählen geht ("Das Kreuz bitte deutlich in den Kreis vor DVU machen!"). Neben dem Anschreiben der DVU-Spitzenkandidaten Michael Claus und Liane Hesselbarth enthält der rote Umschlag vom "Wahlbüro Potsdam" Flugblätter, das sehr dünne Wahlprogramm der Partei und zusätzlich einen Bestellschein für Zeitungen und Bücher aus dem Hause des DVU-Chefs Gerhard Frey.

Dorthin wendet man sich auch, will man einen der Kandidaten oder lokale Funktionäre der DVU sprechen. Die JUNGE FREIHEIT hat es versucht. Aber die Münchner Parteizentrale (gleiche Rufnummer wie der DSZ-Verlag) verweist auf den brandenburgischen Landesvorsitzenden Axel Hesselbarth, der tagelang nicht zu erreichen war. Sollten jene Medien Recht behalten, die seit Wochen verkünden, die Partei bestehe nur aus einem Postfach und einem riesigen Bankkonto, sei also ein Phantom?

Auf den DVU-Internetseiten finden sich drei Nummern von örtlichen DVU-Stammtischen. Erster Versuch: Peter Jaap, 55, Installateur, meldet sich. Ja, er sei Kandidat, sagt er stolz. Stammtische zum Kennenlernen der Wahltruppe seien aber nicht geplant, ebensowenig Wahlkampfauftritte. Weiter möchte er sich nicht mehr äußern.

Zweiter Versuch: Eine laute Männerstimme gibt Auskunft. Natürlich sei auch er Kandidat, erzählt Siegmund Platz, 36, Stellwerksmeister. "Wir wissen noch nicht, ob der Doktor aus München noch einmal kommt. Ich habe noch keine Einladung erhalten." Aber da ja gerade Wahlkampf sei, habe sein Kreisvorsitzender es abgelehnt, Veranstaltungen zu machen – einen Widerspruch kann er in dieser Aussage nicht entdecken.

Bei der dritten Nummer dann die Überraschung: Eine halbe Stunde berichtet Jürgen Schneider relativ desillusioniert über seine Erlebnisse in der DVU. Auch er sollte Kandidat werden, sogar den Fraktionsvorsitz habe man ihm angeboten. "Und drei Tage später fällt’s dem Doktor ein, daß er sagt: Danke, das war’s. Ohne weitere Erklärung."

In Brandenburg habe die DVU durchaus auch gute Leute gehabt, die schon Erfahrung mit politischer Arbeit hätten, fachlich kompetent und rhetorisch gewandt seien. "Wir hätten was Ordentliches hinstellen können. Aber damit du gewählt wirst, mußt du die Schnauze halten, sagt Frey." Wenn einer seine eigenen Gedanken einbringen wolle, dann kriege er "arg Feuer von München". Der DVU-Chef töne bei Veranstaltungen stets, er wolle an die Öffentlichkeit, er wolle "einmal im Jahr soviel Zeit haben im Fernsehen wie der Bubis in einer Woche". Doch wenn Journalisten ihn interviewen wollten, schreie er nur, statt zu argumentieren.

Der DVU-Landesvorsitzende Axel Hesselbarth ist schließlich doch zu erreichen. Er gibt sich überzeugt, daß die DVU mit acht bis zehn Prozent den Einzug in den Landtag schaffen werde, sogar Überhangmandate hält er für möglich! Eine "wahre Opposition" wolle die DVU im Landtag sein, bei der Kriminalität hart durchgreifen, korrupte Politiker hinter Gitter stecken, kriminelle Ausländer ausweisen. Die Steuergelder sollten nicht mehr länger für "EU-Bonzen, Asylbetrüger und Bürokratie" verschwendet werden. Hier könne man sparen, aber nicht bei den deutsche Arbeitslosen.

Den rund 50.000 brandenburgischen Arbeitslosen in der Baubranche stünden etwa die gleiche Anzah Schwarzarbeiter gegenüber. Hesselbarth, der selbst als Bauunternehmer in Berlin erfolgreich tätig ist, fordert scharfe Strafen gegen Arbeitgeber, die über Scheinfirmen illegal Ausländer beschäftigten. Das eingesparte Geld mache Steuerentlastungen für den Mittelstand möglich, damit Investitionen und Arbeitsplätze nach Brandenburg kommen könnten. Hesselbarth hat Zahlen parat und die Argumente, die den Kandidaten selbst nicht zu entlocken waren.

Warum er als Landesvorsitzender nicht kandidiere? Er sei beruflich zu sehr eingespannt, sagt Hesselbarth. Die Spiegel-Berichte würdigt er keines Wortes, worin mögliche Verstrickungen mit dem DDR-Staat als Grund für seinen Verzicht auf eine Kandidatur genannt werden.

Dafür erscheint jetzt seine Frau auf Platz zwei der Liste, auf der Spitzenposition steht ein guter Freund Hesselbarths aus dem Schützenclub. Die Kandidaten sind im Schnitt viel jünger als bei anderen Parteien, aber mit Werner Firneburg (70) ist auch ein potentieller Alterspräsident dabei. Viele Handwerker und Arbeiter sieht man auf der Liste.

Der Landesverband der DVU verfügt zwar über rund 400 Mitglieder, trotzdem wurden Kandidaten aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen. Der bei der Landtagswahl 1998 gescheiterte Vorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Sigmar-Peter Schuldt (49), und auch der Berliner DVU-Chef Markus Nonninger (28) haben nun formal einen Wohnsitz in Brandenburg und Arbeit bei der DVU-Geschäftsstelle angenommen. Dies ermöglicht ihnen eine Kandidatur in Brandenburg. Von den ursprünglich 18 Bewerbern auf der Landesliste – die Aufstellung von Direktkandidaten hat die DVU vermieden – sind nach Streitigkeiten drei schon vor der Wahl abgesprungen. Ist eine ähnliche Entwicklung wie bei der DVU-Fraktion im Magdeburger Landtag vorprogrammiert, die innerhalb von zwölf Monaten von ursprünglich 16 auf jetzt 12 Mitglieder geschrumpft ist?

Bernd Dröse, Pressesprecher der Münchner Parteizentrale, hat keine Bedenken hinsichtlich der DVU-Kandidaten. Immerhin seien sie so qualifiziert, daß sie "die Etablierten in Angst und Schrecken versetzt haben". Ob dieser Schrecken nicht Freys Werbeetat von geschätzten 2,5 Millionen Mark und weniger den wortkargen Kandidaten zuzuschreiben ist? Die Kandidaten seien nur deshalb so einsilbig, meint Dröse auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT, weil "auch die Medien immer so gehässig berichtet haben".

Deshalb wurde den Kandidaten vor der Wahl ein Schweigegelübde abgenommen, vermuten Kritiker wie Schneider. Gelingt es der DVU, die rund zwei Millionen Wahlberechtigten, darunter 200.000 Erstwähler, bis zum 5. September durch eine Materialschlacht in geeignete Proteststimmung zu versetzen und über die Verfassung der DVU-Truppe hinwegzutäuschen, so ist der Einzug der DVU in den Landtag so gut wie sicher.


 
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