© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Zensur: Bundesprüfstelle entschied über Indizierung
Klare Absage erteilt
(JF)

"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (…) Eine Zensur findet nicht statt." So steht es im Artikel 5 Grundgesetz. Aber stimmt das? Eine bedenkliche Entwicklung hatte in den letzten Jahren die Tätigkeit der Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften genommen. 1954 errichtet, um Jugendliche vor "sozialethischer Desorientierung" zu schützen, also Pornographie und Gewaltverherrlichung vom Markt zu nehmen, hat sich die Behörde auch immer wieder mit historischen und politischen Büchern, Videos und Tonträgern beschäftigt und dabei mit teilweise hanebüchenen Begründungen Medien indiziert.

Auf diese Art läßt sich das im Grundgesetz verankerte Verbot einer Zensur entscheidend aushöhlen. Der Verdacht, daß die Bundesprüfstelle ihr Mandat in dieser Hinsicht mißbraucht, verdichtet sich, betrachtet man die Liste der Bücher, die in den letzten Jahren indiziert wurden. Zunächst fällt auf, daß sich alle politisch begründeten Indizierungen ausschließlich gegen "rechte" Medien richteten. Keine Gewaltverherrlichung linker Art wurde jemals Gegenstand eines Indizierungsverfahrens.

Im Frühjahr 1999 teilte die Bundesprüfstelle dem in Kiel ansässigen Arndt-Verlag mit, daß sie drei Anträge des Bundesministeriums für Jugend (übrigens aus der Nolte-Ära) zu verhandeln gedenke. Bei den beanstandeten Büchern handelte es sich um die "Dokumente polnischer Grausamkeit", einen teilweisen Nachdruck einer Dokumentation des deutschen Außenministeriums von 1940 zu den Ereignissen des "Bromberger Blutsonntags", basierend auf den Untersuchungen der unabhängigenWehrmachtsuntersuchungsstelle. Das Bundesministerium argumentierte, bei dem Buch, "in dem eine Vielzahl angeblich (!) von Polen an der deutschen Bevölkerung verübten Verbrechen geschildert werden, handelt es sich um ein während der Zeit des Dritten Reiches entstandenes Propagandawerk, das dazu dienen sollte, den Überfall auf Polen zu rechtfertigen." Den Beamten war anscheinend im Eifer des Gefechts entgangen, daß die Ereignisse des "Bomberger Blutsonntages" erst nach dem Beginn des Polenfeldzuges stattfanden, also schwerlich als Begründung für diesen herhalten können.

Auf ebenso wackeligen Füßen stand der Indizierungsantrag gegen den auf Video aufgezeichneten Vortrag "Vertreibungspläne – Vertreibungsgreuel. Die schockierende Vorgeschichte eines Menschheitsverbrechens" von dem Historiker Joachim Nolywaika. Hier lautete die nur neun Zeilen lange Begründung, "die vorstehend bezeichnete Kassette läßt bereits nach Titel und Herkunft den Schluß zu, daß ihr Inhalt geeignet ist, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren". Bei der Anhörung mutete das Indizierungs-Ansinnen nur noch peinlich an: Niemand mochte ernstlich daran zweifeln, daß einer Vertreibung in aller Regel Vertreibungspläne vorausgehen und daß dabei stattfindende Greuel eine traurige Tatsache sind.

Bei dem dritten Objekt handelte es sich um "Der Tanz auf dem Vulkan" von Gustav Sichelschmidt, ein rein politisches Buch, das als radikaldemokratisches Plädoyer den Parteienstaat und die nationale Selbstvergessenheit geißelt. Hier war von vornherein klar, daß das Buch unter den Schutzbereich des Gesetzes fallen würde, in dem es in Paragraph 1 heißt: "Eine Schrift darf nicht in die Liste aufgenommen werden allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschau- lichen Inhalts..."

Nach umfangreichen schriftlichen Stellungnahmen ging der Arndt-Verlag zusammen mit seinem Anwalt Horst Mahler nach Bonn in die Anhörung. Unter der Leitung der Oberregierungsrätin Bettina Brockhorst, stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle, fand eine außerordentlich faire Verhandlung statt. Der Verlag betonte, es sei ein Unding, daß unpopuläre historische Tatsachen über das Jugendgesetz unterdrückt werden sollen. Mit Befriedigung stellte der Verlag fest, daß die zwölf Mitglieder des Gremiums aus allen gesellschaftlich relevanten Gruppen in großem Ernst seine Einwände würdigten und dem Indizierungsantrag des Familienministeriums eine klare Absage erteilten.

Die Bundesprüfstelle hat sich in diesen drei Fällen als konsequenter Vertreter einer wehrhaften Demokratie erwiesen, die dem Schutz freier Meinungen den Vorrang einräumt.


 
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