© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Salzburger Festspiele: Drei Varianten zum faustischen Pakt
Musik für Zuchthäusler
Werner Veith

Es gibt Musik, die kann einem den letzten Nerv rauben. Musik, die dafür geeignet ist, Gefangene zur freiwilligen Aufgabe ihrer Rebellion zu bewegen. Und es gibt Musik, die die Phantasie anregt, ein warmströmendes Wohlgefühl erzeugt – und so das Gefangenenleben für Stunden vergessen läßt.

Beide Spielarten der klassischen Musik waren bei den diesjährigen Salzburger Festspielen vertreten – in Form von Busonis moderner Oper "Doktor Faust" und Berlioz’ "Fausts Verdammnis". Schwerpunkt des wahrscheinlich besten Musikfestivals der Welt waren die verschiedenen Varianten zu Fausts Pakt mit dem Teufel – neben Opern wie "Don Giovanni", "Zauberflöte", "Don Carlos" und umstrittenen Aufführungen nach Shakespeare ("Schlachten") und Hugo von Hofmannsthal ("Jedermann").

Die Musik Busonis zu "Doktor Faust" gehört in die Hölle – auf Nimmerwiederhören. Seine Komposition ist so schräg, meist jenseits von Harmonie und Wohlklang. Die Verteidiger von Ferruccio Busoni würden jetzt sagen: "Ja, Sie müssen sich eben vorbereiten, sich die Musik öfters anhören." Nein, es hat keinen Wert, es ist Hopfen und Malz verloren. Je mehr ich der aktuellen Einspielung von "Doktor Faust" (Plattenfirma Erato/Warner) lausche, desto abweisender ist mein Urteil. Und es lag auch nicht am Orchester oder den Sängern in Salzburg. Im Gegenteil: Die Wiener Philharmoniker unter Kent Nagano sind hervorragend, und Thomas Hampson als Doktor Faust ist überragend. Nur kann Hampson nicht zeigen, was in seiner Stimme steckt, weil Busoni die Sänger abwürgt, alle paar Minuten eine andere Idee verfolgt und auf Arien fast gänzlich verzichtet.

Ferruccio Busoni, ein deutsch-italienischer Komponist der Jahrhundertwende, war überragender Musiktheoretiker und Pianist von Weltruf – Genie und Holzkopf in einer Person. Beim Komponieren ließ er sich vom Virus der atonalen, nichtharmonischen Musik anstecken, wie Arnold Schönberg, Hindemith, Berg und Webern.

Zum Davonlaufen ist nicht nur die Musik bei "Doktor Faust", sondern auch die Inszenierung von Peter Mussbach. Um es kurz zu machen: Düster, düster, mit blassen Farben, häßlich modern und tiefgründelnd intellektuell.

Ganz anders die Aufführung "Fausts Verdammnis" ("Damnation de Faust") von Hector Berlioz: in kräftigen Farben, lebhaft, mal flammenzüngelnd, mal winterlich mit Schneeflocken. Im Zentrum steht das Innenleben von Faust, das in einem 12 Meter hohen Zauberkessel zur Ansicht kommt. "Wir sind Mittelmeerbewohner, da ist mehr Licht. Die Deutschen denken zuviel, anstatt die Bühne zu verzaubern" sagt der Regisseur Alex Olle, der mit der spanischen Gruppe "La Fura dels Baus" in Salzburg engagiert wurde.

Die ehemalige Straßentheatertruppe erhielt bereits 1996 den Auftrag für "Fausts Verdammnis". Das war viel Zeit, und so schrieben sie noch ein modernes Schauspiel fürs Computer-Zeitalter: F@ust Version 3.0. Hier sitzt Faust nicht im Studierzimmer, sondern in einem Metallkäfig und verzweifelt an der Informationsflut der Welt. Er sucht im Internet und springt von Fernsehkanal zu Fersehkanal. Schließlich läßt er sich von Mephisto zu Drogen verführen – und die Tragödie nimmt ihren Lauf. In einem eingespielten Video fragt der Moderator der Fausto-Show das Publikum (alles auf spanisch, mit deutschen Untertiteln): "Wer würde seine Seele an den Teufel verkaufen? Für Geld, Macht oder ewige Gesundheit?"

Die Multimediashow ertrinkt nicht in einer Flut von Effekten und Bildern, die Bilderfolge ist weniger hektisch als bei den amerikanischen Sendern CNN und MTV. Doch zum Träumen bleibt wenig Zeit – weder für Normalbürger noch für Gefangene.

 

F@ust Version 3.0 von La Fura dels Baus wird am 10. /11. November in Düsseldorf gezeigt ( www.lafura.com ).

Das Programm der Salzburger Festspiele für das Jahr 2000 gibt es ab November beim Kartenbüro, Hofstallgasse 1, A-5020 Salzburg oder im Internet www.salz-burgfestival.at . Für Jugendliche bis zum Alter von 26 Jahren gibt es günstige Karten zu 40 Mark.


 
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