© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Fernsehabend: Tausendmal gezappt und doch nichts gesehen von den neuen DVU-Leuten
Wenn Merkel zweimal lacht
Frank Philip

Das Saarland, dieser gigantische Industriefriedhof im äußersten Westen der Republik, erst kürzlich von der UNESCO zum "Weltkulturerbe" erklärt, muß schon bald wieder von der Liste gestrichen werden. Das will zumindest Peter Müller, der hat versprochen, daß – wenn er gewählt wird – die Zukunft beginnt und jede Menge High-Tech und Dienstleistungen ins Saarland kommt. Am Wahlabend sieht man ihn auf allen Fernsehkanälen. Doch was tut der Mann konkret für sein Land?

Von Wahlstudio zu Wahlstudio schleppt er seine Frau Astrid, höflich richtet der Fernsehjournalist auch eine einfache Frage an sie. Was die Müllers am Sonntag denn so gemacht haben? Frau Müller gar nicht schüchtern: "Erst waren wir wählen, dann waren wir grillen, und dann haben wir uns noch ein bißchen sportlich betätigt." Hoppla, ein bißchen sportlich betätigt – dieser Müller, der ist nicht faul, der tut wirklich etwas für die Zukunft seines Landes. Zum ersten und einzigen Mal an diesem Fernsehabend wirkt das Grinsen des n-tv-Reporters echt. Und Peter Müller hat trotz des korrekten Anzugs seinen Ruf als "junger Wilder" für Jahre gerettet.

Dagegen sieht Klimmt ziemlich alt aus. Müde tritt er vor die Kameras. Das dauert so lange, daß der Sender schnell noch Impressionen aus dem Wahlkampf zwischenblendet. Toller Wahlkampf mit viel Bundesprominenz! Die nicht gerade erfolgsverwöhnte SPD-Chefin aus Bayern, Renate Schmidt, steht allein auf dem Marktplatz und führt Selbstgespräche: "Ich muß zugeben, daß in Bayern die Arbeitslosigkeit etwas niedriger ist als im Saarland," sagt sie leise. Aber es sei auch alles so schwierig.

Während Frau Schmidt laut denkt, hektisches Umschalten nach Brandenburg. Frau Hildebrandt liebt den CDU-Herausforderer gar nicht. Wenn sie den Schönbohm über Sozialpolitik reden hört, "da könnt’ ich einen Knüppel nehmen". Ziemlich schlagfertig diese "Mutter Courage des Ostens". Aber als ehemaliger Soldat weiß Schönbohm sich hoffentlich zu verteidigen. Die neuesten Graphiken zeigen Kuchen in den schrillsten Farben: rot neben schwarz, rosa-lila neben braun. Das wird dem Polit-Establishment sicher schwer im Magen liegen.

Die Zuschauer wollen jetzt endlich Bilder von den neuen DVU-Abgeordneten sehen! Aber die kommen nicht. Dafür tausend vorgestanzte Kommentare und gehässige Bemerkungen. Frau Hildebrandt packt das blanke Entsetzen. Sie sagt: "Mich packt das blanke Entsetzen!" Dagegen hat Angela Merkel einen Kanal weiter ein mildes Lächeln um die Lippen. Das sei ein guter Tag für die CDU, leiert sie, und noch mal huscht ein kurzes, mildes Lächeln über ihr Gesicht. Gleich zweimal gelächelt an einem Tag? Das muß wirklich ein guter Tag sein für die CDU! Doch wo bleiben die DVU-Abgeordneten?

Irgendein SPD-Politiker wird vorgeschoben. Er ist Präsident des Landtages, sozusagen der Hausherr im Potsdamer Parlament, und sieht ziemlich geschockt aus. Er sagt: "Ich bin ziemlich geschockt." Schon gut, dieser gestrenge Hausherr hat eh nicht darüber zu entscheiden, wer in die gute Stube darf.

Während in Potsdam alle warten, übernimmt es die ARD, die noch ganz verdatterte DVU-Abgeordnete Hesselbarth zu martern. Aber wir haben uns verzappt, gucken gerade das brandenburgische Landesfernsehen und lauschen den Kommentaren der grünen und gelben Zwerge. Es bleibt Zeit für Kleiderstudien: Grün-Saar trägt Halskette mit bunten Holzperlen, der Ossi-Grüne gepflegten Rauschebart. Ist das jetzt die "Mauer in den Köpfen" oder der Geschlechterkampf?

Der PDS-Vorsitzende Bisky war zur Mittagszeit wählen (ob er sich danach noch anderweitig betätigte, ist nicht bekannt). Auf den Bildern an der Urne sehen wir ihn mit schwarzem Cowboy-Hemd, dunkler Jeans, Ledergürtel mit auffälliger Metallschnalle, das ist ja richtig Wild-East. Am Abend dann wieder Anzug und Krawatte. Die Stirn des Professors professionell in Falten gelegt, denn der DVU-Einzug macht ihm angst. Er sagt: "Das macht mir angst."

SPD-Spitzenkandidat Stolpe kann sich fünf Sender weiter kaum verständlich machen. Hinter ihm steht eine junge Frau mit gefärbten Haaren und kreischt "Nazis raus, Nazis raus". Stolpe findet, das SPD-Sommertheater sei dieses Jahr nicht so gut gewesen. Das stimmt, kein Vergleich mit der Saison 1996. Die ganze Zeit schielt er nach den Augenbrauen von Schönbohm, die heute abend besonders keck nach oben gezwirbelt sind. Wir schalten wieder um, sehen beim ZDF gerade noch, wie eine Frau ganz geknickt vom Kameratisch wegtritt. War das die versprochene DVU-Abgeordnete?

Währenddessen vor dem Landtag in Potsdam bürgerkriegsähnliche Zustände. Der Brauhausberg wird durch zwei Hundertschaften Bereitschaftspolizei abgeriegelt. Aus Richtung des Bahnhofes stürmen plötzlich zwanzig maskierte Autonome. Ihr Haß richtet sich zunächst gegen eine Dixi-Mobil-Toilette. Welch teuflische Logik steckt dahinter: Wenn die Brandenburger Bauarbeiter schon DVU wählen, dann sollen sie in Zukunft zusehen, wo sie ihr Geschäft verrichten. Die Polizei sieht zu, betreibt "Selbstschutz". Nun wenden sich die autonomen Freunde einem geparkten CDU-Bus zu, schlagen die Scheiben ein und kippen das Fahrzeug um. Die Polizei filmt eifrig fürs Archiv und betreibt ansonsten "Eigensicherung".

Bei Erscheinen der DVU-Abordnung vor dem Landtag bilden die "Jungen Genossen" hinter einem Transparent eine Sperre. Die Polizei macht keine Anstalten, den DVU-Abgeordneten Zutritt zum Parlament zu verschaffen. Doch die DVU-Leibwächter aus München sind gut trainiert, bahnen sich blitzschnell mit kurzen Schlägen in Hüfthöhe eine Gasse, drinnen warten schon alle. Nachher Gysis weinerlicher Kommentar: "Da sieht man ja das Demokratieverständnis dieser Leute, daß sie bei einer Demonstration gleich gewalttätig werden."

Endlich haben wir die DVU-Abgeordnete Liane Hesselbarth gefunden. Liane, das klingt nach Urwald, irgendwie wild. Pack den Tiger in den Landtag, riet die DVU in früheren Wahlkämpfen. Aber Frau Hesselbarth ist ganz handzahm. "Was wollen diese Leute?" plakatierte die DVU – erfahren wir endlich die Antwort?

Zunächst einmal will die eingeschüchterte Frau den Wählern danken. Sie sagt: "Zunächst einmal will ich mich bei den Wähler bedanken." Schon bald wolle die DVU ihre erste Sitzung halten, und dann gehe es richtig los.

Aus dem Hintergrund grölt einer etwas Unfreundliches. Frau Hesselbarth kommt ins Stocken, tut beleidigt. Sie dürfe weitersprechen, sagt ermunternd der Moderator in die Stille. Die DVU-Abgeordnete schaut schnell auf einen kleinen Spickzettel, und sagt. "Das mit ’Deutsche Arbeit für Deutsche‘ ist überhaupt kein Quatsch. Wir haben in Brandenburg zum Beispiel 50.000 gewerbliche Bauarbeiter und dabei 51.000 andere, also Schwarzarbeiter. Nee falsch, also ..."

Wir haben genug gesehen und gehört. Was uns von diesem Abend bleibt, ist nur die kaputte Fernbedienung.


 
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