© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Weltgewissen, erwache!
von Michael Wiesberg

Warum läßt Indonesiens Präsident Jusuf Habibie in Ost-Timor erst eine Volksabstimmung durchführen, deren Ergebnis für die Unabhängigkeit Ost-Timors vorherzusehen war, und anschließend weigert sich Indonesien, das Ergebnis des Referendums umzusetzen? Daß es überhaupt zu dieser Volksabstimmung kam, ist hauptsächlich zwei Faktoren zu verdanken: Einmal dem Sturz des Diktators Suharto, auf den die gewaltsame Annexion Ost-Timors im Jahre 1976 im wesentlichen zurückgeht. Damals erstickte die indonesische Armee den Widerstand in der ehemaligen portugiesischen Kolonie mit grausamen Methoden. James Dunn, der letzte australische Konsul in Portugiesisch-Ost-Timor, sprach von etwa 100.000 durch Folter und Mord ermordete Ost-Timoresen. Dunn bezeichnete das Vorgehen der Indonesier "als den schlimmsten Fall von Menschenrechtsverletzungen in unserer Zeit". Damals gab es keine Konsequenzen für Indonesien.

Neben dem Sturz Suhartos spielte für die indonesische Entscheidung für ein Referendum auf der Insel die "internationale öffentliche Meinung" eine zentrale Rolle. Indonesien ist stark auf das Wohlwollen seiner internationalen Kreditgeber angewiesen. Deren Druck dürfte wohl auch die Entscheidung Habibies erklären, auf Ost-Timor eine internationale Friedenstruppe zuzulassen. Daß Indonesien bisher allen Versuche, den östlichen Teil Timors in die Unabhängigkeit zu entlassen, widerstanden hat, liegt vorrangig in der Befürchtung begründet, daß der Verlust Ost-Timors der Auftakt für eine "Balkanisierung" Indonesiens sein könnte. Sprich: Habibie und seine führenden Militärs fürchten, daß der Inselstaat auseinanderfallen könnte.

Bleibt die Frage, warum die "internationale Gemeinschaft" erst jetzt, 23 Jahre nach der Annexion Ost-Timors, ihr Interesse an Ost-Timor entdeckt. Bezeichnend ist die Haltung Australiens, das im Dezember 1975 mit zehn anderen Staaten die Rechtmäßigkeit des indonesischen Überfalls auf Ost-Timor anerkannte. 160 australische Firmen erklärten damals in einer Resolution, daß "die Haltung Indonesiens gegenüber Ost-Timor als äußerst tolerant und verantwortungsbewußt" zu bezeichnen sei. Auch die US-Regierung, Gralshüterin der Menschenrechte, wollte ihre massiven Waffenlieferungen an das Suharto-Regime nicht einstellen.

Daß sich jetzt das "Weltgewissen" regt, ist wohl in erster Linie auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Indonesier allzu ungehemmt da anknüpfen wollten, wo sie in den späten siebziger Jahren aufgehört hatten. Doch angesichts der allzu offen praktizierten Mordbrennerei auf Ost-Timor blieb den USA und Australien diesmal gar nichts anderes übrig als einzuschreiten.


 
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