© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Parteien: Interview mit dem Publizisten Harald Neubauer über die Lage der Rechten
"Geld alleine reicht nicht"
Dieter Stein

Herr Neubauer, der Union scheint es im Moment zu gelingen, selbst in SPD-Stammländern absolute Mehrheiten zu organisieren. Hätten Sie das vor einem Jahr, nach der Schlappe von Helmut Kohl erwartet?

Neubauer: So schnell hätte ich die Entwicklung nicht erwartet. Das liegt auch weniger an der Qualität der Politik der Union, sondern eher an den Problemen, die sich die Regierungskoalition in Berlin bereitet.

Wird die Union diese Erfolge künftig halten können?

Neubauer: Mir scheint, daß das Gedächtnis des deutschen Wählers immer kürzer wird. Manche haben schon vergessen, welche Politik die Union in 16 Jahren Regierungszeit von Helmut Kohl betrieben hat. Auf der anderen Seite muß man auch sehen, daß die SPD mit sehr vollmundigen Versprechungen in die letzte Bundestagswahl hineingegangen ist und diese Versprechungen nun nicht erfüllen kann. Entscheidend ist wohl hier die Wahlbeteiligung. Die liegt derzeit zwischen 50 und 60 Prozent. Daran ist zu ermessen, daß viele Bürger das Vertrauen in die Altparteien grundsätzlich verloren haben. Offenkundig hat sich hier bereits der Grundsatz durchgesetzt, Politik verderbe den Charakter. Man sieht weniger, daß es eher schlechtere Charaktere sind, die die Politik verderben. Wir müssen heute sehen, daß sich große Teile der Wahlbevölkerung aus dem politischen Geschehen verabschiedet haben. Wohin letztlich diese Wahlverweigerer gehen werden, steht noch in den Sternen.

Sie selbst haben eine bewegte Vergangenheit. Als 23jähriger haben Sie 1974 als Volontär bei Gerhard Freys "National-Zeitung" angefangen. In neun Jahren stiegen Sie zu einer Art publizistischen rechten Hand von Frey auf. Wieso trennten Sie sich 1983 von Frey?

Neubauer: Es gab zwei Hauptmotive. Das eine bestand darin, daß Frey damals nicht die Absicht hatte, eine Partei ins Leben zu rufen. Der Zustand der Rechten war damals schon sehr desolat. Ich war der Meinung, daß es einer rechten Partei in Deutschland bedürfe, um die politischen Verhältnisse zu verändern. Publizistische Arbeit allein reichte mir nicht mehr aus. Frey wollte sich damals noch nicht auf das Feld der Parteipolitik begeben.Das andere Motiv lag darin, daß ich den Stil der National-Zeitung so nicht mehr mittragen wollte. Manches war mir zu grobschlächtig und allein auf geschäftliche Interessen orientiert. Man kann darüber streiten, aber ich hatte zum Schluß eine andere Vorstellung von Zeitungsarbeit.

Haben Sie rückblickend Probleme mit dem, was Sie bei Frey produziert haben?

Neubauer: Ich kann mich nicht erinnern, damals etwas geschrieben zu haben, das ich heute inhaltlich nicht auch schreiben würde. Vielleicht würde ich die eine oder andere Formulierung verändern. Meine Position von damals ist mit meiner heutigen im wesentlichen identisch.

Sie stiegen dann 1984 bei den Republikanern ein ...

Neubauer: Ich hatte vorher ja schon Franz Schönhuber kennengelernt, später auch mit Handlos und Voigt gesprochen. Alle drei haben mich dann gebeten, meine Stelle bei Frey aufzugeben und ihnen beim Aufbau der Republikaner zu helfen.

1990 unterlagen Sie bei einem Putschversuch gegen Schönhuber. Es kam zur Spaltung. Seitdem haben Sie sich – nach einem kurzen Intermezzo bei einer Abspaltung der Republikaner – parteipolitisch abgemeldet. Bereuen Sie das?

Neubauer: Ja und nein. Eigentlich verstehe ich mich als homo politicus, der davon ausgeht, daß sich Veränderungen in der Demokratie nur über Parteien und parlamentarische Repräsentanzen erzielen lassen. Auf der anderen Seite macht es natürlich keinen Spaß, in Parteien zu arbeiten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, inneren Streit zu suchen oder den Streit mit Gleichgesinnten außen zu suchen. Insofern bereue ich es nicht, heute parteilos zu sein. Keine der jetzt agierenden rechten Parteien ist so attraktiv, daß man dort unbedingt mitarbeiten will.

Freunde loben Ihr Redner- und Organisationstalent, Gegner sagen, Sie seien ein Demagoge und Intrigant. Was stimmt?

Neubauer: Mit Intrigantentum läßt sich keine Organisation aufbauen, und ein guter Redner muß natürlich auch so sprechen, daß ihn die Menschen verstehen. Dies wird manchmal als Populismus bezeichnet, manchmal als Demagogie – ich meine, daß keine Partei darauf verzichten kann, gute Redner in die politische Auseinandersetzung zu schicken.

Weshalb ist die parteipolitische Rechte in Deutschland nicht flächendeckend erfolgreich?

Neubauer: Weil sie mit inneren Auseinandersetzungen beschäftigt ist. Das ist der Hauptgrund. Man kann nicht konkurrierend bei Wahlen antreten und dann erwarten, daß sich die Menschen auf eine Partei konzentrieren. Das ist nur dann der Fall, wenn klar ist, daß eine Partei die Chancen hat, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Wenn das nicht deutlich zu erkennen ist, zersplittert sich das Potential, und es führt dazu, daß potentielle rechte Wähler am Wahltag zu Hause bleiben.

Kann man wirklich – inhaltlich und strukturell – NPD, DVU und Republikaner in einen Topf werfen? Sind diese nicht programmatisch und personell meilenweit voneinander entfernt?

Neubauer: Man darf nicht ständig nach den Unterschieden suchen, sondern muß die Gemeinsamkeit in den Vordergrund stellen. Und die liegt meines Erachtens im Bekenntnis zur nationalen Präferenz. Und warum soll eigentlich eine rechte Partei keine Flügel haben? Die gibt es bei der SPD, bei der Union, eigentlich überall! Wichtig erscheint die Kernaussage: Wir wollen, daß der Nationalstaat erhalten bleibt, wir wollen, daß Deutschland seine Identität bewahrt, wir wehren uns gegen Überfremdung und Bevormundung – das ist der gemeinsame Nenner, unter dem sich alle Patrioten zusammenzufinden haben. Daß es da oder dort unterschiedliche Auffassungen gibt in Detailfragen, ist nicht zu bestreiten. Zunächst sollte man gemeinschaftlich untersuchen, wo die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten liegt.

Rechte Parteien werden vom Wähler nach wie vor primär als reine Protestparteien wahrgenommen.

Neubauer: Ich halte nichts vom Begriff des Protestwählers. In jeder Wahlentscheidung liegt ein Stück Bejahung und ein Stück Verneinung, ein Stück Protest und ein Stück des Konstruktiven. Rechte Parteien werden gerne mit dem abwertenden Begriff "Protestpartei" belegt, weil man suggerieren will, daß sie kein Programm und keine personelle Qualität haben.

Auch die CDU spielt derzeit die Rolle einer Protestpartei. Daran ist doch nichts negatives!

Neubauer: Richtig. Jede Partei kommt in die Situation, daß sie Protest kanalisiert.

Die erfolgreichste Protestpartei im Osten Deutschlands ist derzeit die PDS. Was kann man von den Postkommunisten lernen?

Neubauer: Der Vergleich fällt schwer. Das beginnt bei der Materialausstattung und endet bei den Mitgliederzahlen. Auch spielt eine Rolle, daß patriotische Bestrebungen in Deutschland in aller Regel mit dem Nationalsozialismus unstatthaft in Verbindung gebracht werden, dagegen nimmt man der PDS ab, daß es sich um eine Partei handelt, die zum demokratischen Spektrum der Bundesrepublik gehört. Lediglich die kommunistische Plattform wird etwas ausgegrenzt.

Das reicht doch für den Erfolg der PDS nicht aus.

Neubauer: Sie ist auch deshalb so stark, weil die Bonner Politik auf viele Menschen im Osten desillusionierend wirkt. Die Zeit ist schnelllebig geworden. Die Psychologie in der ehemaligen DDR ist eine andere.

Spielt nicht auch die Nähe zu den Menschen eine Rolle, die Nachbarschaftshilfe der PDS-Mitglieder, die Arbeit der Volkssolidarität – schlicht menschliche Nähe. Demgegenüber steht eine DVU, die per Postwurfsendung ins Haus kommt.

Neubauer: Gewiß. Deshalb kommt die DVU ja nicht auf die Stimmenzahlen der PDS. Allerdings halte ich die soziale Kompetenz der umbenannten SED für vorgespiegelt. Zwischen dem PDS-Programm, etwa in der Ausländerpolitik, und dem Wollen ihrer Wähler klafft eine Lücke, in die eigentlich eine Rechtspartei einspringen könnte. Der DVU gelingt das teilweise. Hier ließe sich noch wesentlich mehr herausholen.

André Brie, PDS-Vordenker, unterzieht seine Partei regelmäßiger Kritik und wirft ihr halbherzigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit vor. Selbstkritik schadet dieser Partei offenbar überhaupt nicht. Warum tut sich die politische Rechte in Deutschland so schwer mit Selbstkritik, auch mit historischen Lebenslügen aufzuräumen? Ich nenne ausdrücklich das Verhältnis zum Nationalsozialismus. Warum versteht sich die Rechte immer nur larmoyant als verfolgte Unschuld?

Neubauer: Ich kann dies nicht teilen. Die deutsche Rechte hat natürlich in der Öffentlichkeit ein Bild, das von den Medien und vom politischen Gegner geprägt wird. Meine Erfahrung sagt etwas anderes. Die demokratische deutsche Rechte macht keineswegs den Versuch, etwa den Nationalsozialismus reinzuwaschen, oder zu sagen, die deutsche Geschichte sei fehlerfrei gewesen ...

Ich denke nur an den regelmäßigen Eiertanz in der Frage der Würdigung des nationalkonservativen Widerstandes gegen Hitler, ich meine den 20. Juli 1944.

Neubauer: Wir kämen hier zu spät. Andere haben Probleme mit dem deutschen Widerstand. Bei der Einweihung des Goerdeler-Denkmales in Leipzig kam es zu schweren Ausschreitungen von links und körperlichen Angriffen auf den Redner Klaus von Dohnanyi. Die deutsche Rechte sollte sich generell nicht an Fragen vergangener Positionen aufrichten. Wir werden weder aus der Tradion des Nationalsozialismus noch aus der Tradition des Widerstandes unsere heutigen Probleme lösen können. Geschichte eignet sich nicht, heutige Probleme zu lösen und Wahlen zu gewinnen.

Läßt es sich nicht auch in der Käseglocke von Ausgrenzung und Marginalisierung der Rechten bequem leben? Ist nicht Bequemlichkeit und geistige Unbeweglichkeit auch ein Kennzeichen dieser Szene?

Neubauer: Ich glaube nicht, daß dies für die Rechte insgesamt prägend ist. Ich wehre mich auch gegen die Tendenz zur Nabelschau, sich zu rechtfertigen und zu verteidigen. Das ist nicht das Rezept, um in Deutschland zu politischen Veränderungen zu kommen. Wir müssen endlich aus der Nabelschau heraus und zeigen, was die anderen aus Deutschland machen.

Welche Zukunft geben Sie der DVU, die derzeit bei Wahlen durch hohen Materialeinsatz in der Regel vor den Republikanern liegt?

Neubauer: Ich will den DVU-Erfolg von Brandenburg nicht kleinreden. 5,3 Prozent gegen Medienboykott und linken Terror – das ist eine Leistung. Man muß aber auch nüchtern sehen, daß die DVU bei Wahlen meist deutlich unter fünf Prozent liegt. Ich denke an Bremen, Thüringen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern. Trotz immensen Materialaufwandes spielt die DVU auf Bundesebene keine Rolle. Zu groß sind hier die personellen und organisatorischen Defizite. Geld allein reicht nicht. Wenn Sie mir einen Vergleich erlauben: Wir hatten mit den Republikanern bei der Europawahl 1989 7,1 Prozent auf Bundesebene, in Bayern sogar 14,6 Prozent. Unser Gesamt-Wahletat lag damals bei 200.000 DM! Heute werden auf kleinstem Raum zwei, drei Millionen verpulvert. Davon konnten wir damals nur träumen. Man sieht hier deutlich das Mißverhältnis von Aufwand und Ertrag. Mir blutet das Herz, wenn ich die heutige Lage betrachte. Die Vision der politikfähigen demokratischen Rechten ist in weite Ferne gerückt. Wir wollten integrieren und nicht separieren. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Jetzt setzt man auf Abgrenzung und Ausgrenzung, provoziert immer neue Streitigkeiten. Lernen kann man von der DVU eigentlich nur, wie man effektive Wahlkämpfe führt. Daran mangelt es bei den Republikanern schon seit Jahren.

 

Harald Neubauer wurde 1951 in Hamburg geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung war er von 1974 bis 1984 als Redakteur für die Zeitungen des heutigen DVU-Chefs Gerhard Frey tätig. Von 1985–88 Generalsekretär, 1988–90 bayerischer Landesvorsitzender der Republikaner, 1989–94 Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Seit 1992 ist er Mitherausgeber der Monatszeitschrift Nation&Europa.


 
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